Selbstreflektion als Zukunftsgarantie
Interview mit Univ.-Prof. Dr. Volker Stein, Universität Siegen
„Stakeholderorientierung ist keine Einbahnstraße“, sagt Univ.-Prof. Dr. Volker Stein, Leiter des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Siegen. Personalabteilungen in Krankenhäusern haben viele Möglichkeiten, das Personalmanagement im Krankenhaus zu beeinflussen. Im Interview verrät er, wie Sie die Zukunft Ihrer Einrichtung aktiv mitgestalten können.
Inwiefern sehen Sie das Personalmanagement als Wertschöpfungstreiber?
Das Personalmanagement hat es in der Hand, die eigentliche Leistungserstellung des Krankenhauses zu unterstützen. Dabei kann es sich selbst und der Krankenhausleitung unter anderem die Fragen beantworten: Für wen genau wollen wir als Personalmanagement da sein? Wie genau sehen, kommunizieren und leben wir unsere Rolle im Krankenhaus? Und wie modern, innovativ und strategisch wollen wir als Personalmanagement agieren? Von der Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen hängt es ab, ob das Personalmanagement im Krankenhaus eine „08/15-Variante“ oder tatsächlich eine wertschöpfungstreibende Funktion wird.
Will das Personalmanagement Wertschöpfungstreiber sein, so muss klar sein, an welchen Stellen es zum Erfolg beiträgt. Entgegen der landläufigen Meinung ist dies nicht allein die operative Personalarbeit, die sich auf Personalplanung, Personalbeschaffung, Personaleinsatz etc. bezieht. Es kommt vielmehr die strategische Ebene hinzu. Das bedeutet, dass sich das Personalmanagement auf das gesamte strategische Geschäftsmodell des Krankenhauses hin ausrichten kann und vielleicht sogar muss – im Einzelnen auf das Nutzenversprechen den Patientinnen und Patienten gegenüber, auf die Optimierung der internen Leistungserstellung sowie auf die Sicherstellung finanzieller Erträge. Vom Personalmanagement hängt so viel mehr ab als nur die funktionierende Personalausstattung – zum Beispiel die Art der krankenhausinternen Kommunikation und Kooperation, die Verlässlichkeit von Planungen, das Arbeitsklima und die spürbare Krankenhauskultur, um nur einige Punkte zu nennen.
Welche drei Dinge sollten Personalabteilungen im Krankenhaus unbedingt tun, um ein sichtbarer Teil der Wertschöpfung zu sein?
„Sichtbar“ heißt ja zunächst, dass Außenstehende überhaupt etwas davon bemerken, was die Personalabteilung im Krankenhaus tut. Damit besteht die Aufgabe darin, über das reine Tun hinaus auch aktiv, offen und mit breitem Adressatenkreis zu kommunizieren. Ins Gespräch zu kommen mit Betroffenen und Beteiligten heißt damit immer auch, den eigenen Schreibtisch zu verlassen und sich in Kontakt zu den Mitarbeitern im Krankenhaus zu begeben.
Wenn ich drei Dinge auswählen sollte, die ich für vorrangig halte, dann folgende:
Erstens sollten Personalabteilungen im Krankenhaus sichtbar machen, für wen sie überhaupt Leistungen erbringen. Das sind neben den aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch die Ehemaligen, die zukünftigen Mitarbeiter, die Führungskräfte, Fachabteilungen, die Krankenhausleitung, der Personal- oder Betriebsrat. Kunden für Personalabteilungen sind schließlich auch die MVZs, Outsourcing-Partner und Zeitarbeitsunternehmen, Krankenhausverbände und Gewerkschaften, Eigentümer, Staat und Öffentlichkeit. Ich bezeichne diese Gruppen als Kunden, weil sie alle Erwartungen an eine gute Personalarbeit haben, die das Personalmanagement kennen muss, um sie zu erfüllen. Und weil das Personalmanagement diese Gruppen seinerseits aktiv nutzen kann, um seine Personalarbeit besser zu machen. Es kann also Informationen einfordern, dezentral wahrgenommene Risiken aufnehmen und frühzeitig die Stimme erheben, um die Entscheidungen aller Kunden und Partner zu beeinflussen. Ich nenne dies „Stakeholderorientierung ist keine Einbahnstraße“.
Zweitens sollten Personalabteilungen im Krankenhaus ihre Professionalität klar kommunizieren. Dies bedeutet, die differenzierten Bedürfnisse der Zielgruppen zu erfassen und zu berücksichtigen, einmalige Aktionen durch langfristiges Handeln zu ersetzen, die Personalarbeit als zentrale Kernkompetenz des Krankenhauses zu begreifen und sie auf den Radarschirm der Krankenhausleitung zu bringen. Diese vier Dinge sind idealerweise eine Selbstverpflichtung, die auch von außen eingefordert werden kann.
Und drittens sollten Personalabteilungen im Krankenhaus meiner Meinung nach ihre Rolle festlegen. Das Personalmanagement muss nicht im Sinne einer „eierlegenden Wollmilchsau“ alles realisieren, was denkbar ist – aber sie kann Prioritäten setzen. Sie könnte Verwaltung, Lohnabrechnung und Zeitwirtschaft in den Vordergrund stellen oder aber Treiber von Veränderungen sein. Durch die angenommene Rolle wird das „Serviceversprechen“ konkretisiert. Dies bedeutet zum einen, dass je nach Versprechen auch eine andere Kompetenz im Sinne von „Können“ entwickelt werden muss, zum anderen aber auch, dass dann die entsprechenden Kompetenzen im Sinne von „Dürfen“ da sein sollten, zur Not auch mal ein Vetorecht bei der einen oder anderen Entscheidung.
Zusammengefasst geht es um das „Für wen“, um das „Wie“ und um das „Als was“.
Wie kann die Digitalisierung beim Personalmanagement helfen?
Ich möchte hier vier Bereiche nennen, die ich für besonders wichtig halte. Es beginnt mit der erleichterten Leistungserstellung in Behandlung und Pflege, was von der Unterstützung der Arbeit durch Transportroboter oder Hebevorrichtungen bis hin zur elektronischen Dokumentation reicht. Das geht weiter mit der konsequenten Prozessorientierung der klinischen Behandlungspfade, die auch unter einer personalwirtschaftlichen Logik und unter Berücksichtigung der Mitarbeiterinteressen konzipiert werden müssen. Der nächste Punkt ist die Steuerung aller möglichen Prozesse in Echtzeit, was eine Aufgabe des Personalcontrollings im Spannungsfeld zwischen erwünschter Effizienzerhöhung und unerwünschter Mitarbeiterüberwachung ist. Und schließlich geht es um vorausschauende Planung, also beispielsweise die Simulation von Auslastungsszenarien für die Personalplanung oder den Einsatz von Analyseverfahren mit Vorhersagen, um im Voraus Kapazitätsentwicklungen abzuschätzen und sich zeitig darauf vorzubereiten.
Ich könnte noch viele Schlagworte wie Big Data und Künstliche Intelligenz nennen, doch vieles aus dem Bereich Digitalisierung für das Personalmanagement in Krankenhäusern befindet sich noch in recht frühen Entwicklungsphasen. Anstatt hier in kritiklose Euphorie zu verfallen, ist immer zu fragen: Entlastet Digitalisierung das System von Routinetätigkeiten oder führt es zu weiterer Arbeitsverdichtung und der Einschränkung individueller Entscheidungsspielräume?
Vor welchen drei großen Herausforderungen sehen Sie generell Personalabteilungen in den kommenden fünf bis zehn Jahren?
Die zukünftigen Entwicklungen im Krankenhaussektor sind für alle Beteiligten äußerst herausfordernd, das sehen wir bereits heute. Für Personalabteilungen ist es wichtig, dass sie es erstens schaffen, kompetente interne Dienstleister im Krankenhaus zu werden, deren Leistungen gefragt und nötig sind. Ansonsten wird man sie früher oder später nicht mehr als eigenständige Abteilungen brauchen und abschaffen. Zweitens sollten sich Personalabteilungen nicht nur für die Finanzen, sondern auch für das Betriebsklima, das Arbeitgeberklima oder die Krankenhauskultur einsetzen und in dieser Hinsicht verlässliche Partner werden. Und zu guter Letzt sollten sie sich nicht zu Blitzableitern für alle Fehlentwicklungen machen lassen, die sie nicht verantworten, sondern aktiv zur Stimme für ein nachhaltiges Krankenhausmanagement werden, das sie verantwortlich mitgestalten. Ich bin zuversichtlich, dass ein selbstreflektiertes Personalmanagement diese Zukunftsaufgaben erfolgreich gestalten wird.
Univ.-Prof. Dr. Volker Stein ist seit 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement und Organisation an der Universität Siegen und Gründungsvorstand der Universität Siegen Business School. Er war mehrfacher Gastprofessor im Studiengang „Management und Expertise im Pflege- und Gesundheitswesen“ an der htw saar und vergibt unter anderem den BestPersAward für exzellente Personalarbeit im Mittelstand.