Interview mit Richard Kreutzer

„Ein Treppenwitz der Geschichte”

Personalentwicklung

Von KlinikRente — 18.12.2018

„Ein Treppenwitz der Geschichte”

Interview mit Richard Kreutzer, Geschäftsführer der Lahn-Dill Kliniken

Mit der Umsetzung der neuen Personaluntergrenzen stehen viele Krankenhäuser vor einer großen Herausforderung. Eine Einhaltung der neuen Regelung ist in besonderen Fällen nicht zu schaffen, erklärt Richard Kreutzer, Geschäftsführer der Lahn-Dill-Kliniken, und fordert längere Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen bei den neuen Untergrenzen.

Sie sind der Meinung, dass Mitarbeiter mehr als nur Bezahlung wollen. Was wollen die Mitarbeiter im Krankenhaus denn konkret?

Den Mitarbeitern geht es nicht in erster Linie um die konkrete Bezahlung. Diese ist natürlich wichtig, aber es kommt auch auf weitere Faktoren wie die Freude an der eigenen Tätigkeit und auf Verlässlichkeit an. Bezogen auf den einzelnen Arbeitsplatz geht es um die Frage, wie er aufgebaut ist und welche Arbeitsmittel vorhanden sind, wie sich der Vorgesetzte verhält und wie sich die Kollegen untereinander verstehen. Wenn die Arbeit Freude macht, dann steht die Frage des Geldes nicht an erster Stelle.

Und wie kann man das im Krankenhaus effektiv umsetzen?

Die Lösung liegt in der Beantwortung der Frage: Was kann man tun, damit sich die Mitarbeiter wohlfühlen? Es müssen in erster Linie genügend Mitarbeiter da sein. Es müssen die Hilfsmittel, die Räumlichkeiten und die Zeiten stimmen. Die Mitarbeiter müssen das Arbeiten mit der Familie und dem persönlichen Lebensraum vereinbaren können, Stichwort Work-Life-Balance – das gilt besonders, wenn Kinder oder pflegebedürftige Angehörige vorhanden sind. Gerade Krankenhäuser sind in der Lage, sehr individuelle Arbeitszeiten und Möglichkeiten zu schaffen. Darüber hinaus haben wir in den vergangenen Jahren zahlreiche weitere Maßnahmen umgesetzt, um unsere Attraktivität als Arbeitgeber zu verbessern – von jährlichen Mitarbeitergesprächen bis zu unserer Mitarbeiter-App KliniKOM.

In Deutschland herrscht vor allem in der Pflege momentan ein deutlicher Fachkräftemangel. Wie kann man die Arbeit im Krankenhaus für Mitarbeiter attraktiver gestalten, um in Zukunft wieder mehr Menschen für den Beruf der Pflege zu gewinnen?

Wichtig ist, dass man die Attraktivität auch nach außen darstellt. An den Lahn-Dill-Kliniken hat sich beispielsweise ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Bereich Pflege mit diesem Thema beschäftigt und einen großen Bewerber- und Ausbildungstag organisiert. Auf diese Weise konnten sie zukünftige Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen, dass die Arbeit in unseren Kliniken Spaß macht. Außerdem muss man sich mit dem beschäftigen, was in vielen Kliniken jahrelang vernachlässigt worden ist: die Ausbildung. Wir stehen zwar in Konkurrenz mit jedem anderen Ausbildungsberuf. Wir stellen aber auch fest, dass sehr viele Mitarbeiter ihren Verwandten den Pflegeberuf empfehlen. Dies werten wir als positives Signal und es zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Und wenn man von denen absieht, die mit Beschäftigten im Krankenhaus verwandt sind. Wie kann man diejenigen konkret für eine Ausbildung in der Pflege begeistern, abgesehen von den monetären Eigenschaften?

Man muss die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Wir schicken unsere Mitarbeiter und Auszubildenden regelmäßig in Schulen und auf Ausbildungsmessen, um dort für eine Ausbildung zu werben. Außerdem ist es wichtig, moderne Medien zu nutzen. Denn mit Zeitungsanzeigen erreicht man heutzutage die junge Zielgruppe nicht. Wir schalten beispielsweise Werbespots im Kino und sind in den sozialen Medien aktiv. Wir verstehen diese Vorgehensweise als einen interaktiven Prozess, der stetig hinterfragt und weiterentwickelt werden muss.

Interview mit Richard Kreutzer

Welche Veränderungen würden Sie sich von der Politik wünschen, um dem Pflegekräftemangel entgegenzuwirken?

Es ist schon fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass wir in den Neunzigerjahren den Stopp der Finanzierung der Krankenhäuser hatten. Inzwischen will die Politik die Pflege besser honorieren, wertschätzen und alle Kosten tragen, die bei der Pflege entstehen. Das kommt meiner Meinung nach etwas zu spät. Natürlich kann man leicht sagen, dass man alle Kosten trägt, wenn es, etwas übertrieben formuliert, gar keine Kosten gibt. Wir investieren sehr viel in Ausbildung und versuchen gleichzeitig, Versäumnisse der Vergangenheit auszubügeln. All diejenigen Kräfte, die in den Neunzigerjahren aufgrund des Finanzierungsstopps nicht ausgebildet worden sind, werden uns demnächst fehlen. Das auszugleichen wird schwierig. Hinzu kommt, dass die Krankenhäuser sehr viele pflegeunterstützende Berufe eingeführt haben. Beispiele sind die Mitarbeiter, die Patienten im Bett transportieren oder die Bestellungen für das Essen aufnehmen. Diese Aufgaben wurden früher von examinierten Pflegekräften übernommen, heute sind es Mitarbeiter mit einer Zusatzausbildung oder Hilfsausbildung. Wenn diese Kräfte alle aus dem Pflegebereich herausfallen, bauen wir in Zukunft einen zusätzlichen Mangel auf, weil diese Kräfte durch eine dreijährige examinierte Pflegekraft ersetzt werden müssten. Diese Pflegekraft haben wir nicht, aber nur diese wird vom Staat bezahlt. Natürlich wollen die Krankenhäuser dann möglichst viele examinierte Pflegekräfte einstellen. Das ist in sich ein Widerspruch, für den dringend Lösungen gefunden werden müssen.

Sehen Sie die Einführung von Personaluntergrenzen als einen richtigen Weg?

Ja, nur nicht in der derzeitigen Form. Die Personaluntergrenze ist sinnvoll, weil sich jeder, der pflegebedürftige Angehörige im Krankenhaus hat, eine optimale Versorgung wünscht. Wir bei den Lahn-Dill-Kliniken versuchen, eine Unterbesetzung immer zu vermeiden. Natürlich gibt es dennoch manchmal Engpässe, beispielsweise in Zeiten der Grippewelle. Und wenn dann eine Personaluntergrenze greift, können die Menschen nicht versorgt werden. Schließlich dürften Sie auch dann nur X Personen von Y Pflegenden behandeln oder pflegen lassen. Und wenn dann plötzlich drei oder vier Patienten mehr dazu kommen, müssen Krankenhäuser geschlossen werden, sonst käme es zu einem Versorgungsbetrug. In dem Fall hat die Politik ein großes Problem. Dann stehen nämlich die Patienten vor den Türen der Krankenhäuser und irgendwann vor den Ministerien. Das wird bei der Pflegepersonaluntergrenze, wie sie momentan für die Intensivmedizin definiert ist, akut vorkommen. Das kennen wir schon aus der Frühchenbetreuung. Es kommt vor, dass Drillinge in drei verschiedene Krankenhäuser verlegt werden, weil das Personal in einem einzigen Krankenhaus nicht ausreicht. Ich halte das für katastrophal. Da muss dringend nachgebessert werden. Ich bin davon überzeugt, dass sich spätestens bei der nächsten Grippewelle etwas ändern wird, wenn Patienten aufgrund der neuen Regelung nicht versorgt werden können.

In welcher Form würden Personaluntergrenzen Ihrer Meinung nach funktionieren?  

Indem man Ausnahmeregeln schafft oder indem man festlegt, dass die Regel in bestimmten Ausnahmesituationen außer Kraft gesetzt werden kann. Aber es kann nicht sein, dass Krankenhäuser kein Geld bekommen, weil sie in solchen Situationen zu wenig Personal haben. Das ist für die Versorgung der Patienten schwierig, um das vorsichtig auszudrücken.

Und was müssten die Krankenhäuser aus Ihrer Sicht tun, um die Untergrenzen einhalten zu können?

Die Krankenhäuser müssten mehr Personal einstellen. Wir haben in der Tarifverhandlung des letzten Jahres die Zusage bekommen, dass Personal finanziert wird. Und da wird es jetzt einen gnadenlosen Kampf um die Kräfte geben. In den Ballungsgebieten gehen Krankenhäuser teilweise schon mit Abwerbeversuchen auf die Stationen anderer Häuser. Bis ausländische Pflegekräfte hier sind und bis Auszubildende examiniert sind, wird es eine Weile dauern. Und wenn man eine PPUG einführt, muss man nicht großzügige, aber angemessene Übergangsfristen haben, um diese auch erfüllen zu können.

Richard Kreutzer ist seit 2006 Geschäftsführer der kommunalen Lahn-Dill-Kliniken. An den Standorten Braunfels, Dillenburg und Wetzlar werden jährlich über 40.000 Patienten stationär behandelt. Außerdem ist er in zahlreichen Organisationen ehrenamtlich tätig. Unter anderem ist er seit 2014 Vorsitzender des Vorstands des Klinikverbunds Hessen e.V.

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