Verschiebebahnhöfe sind keine Lösung
Interview mit Dr. Gerald Gaß, Präsident der
Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V.
Personaluntergrenzen und Fachkräftemangel: Die Mitarbeiterstruktur im Krankenhaus befindet sich momentan im Wandel. Doch sind die neuen Untergrenzen für Personal im Krankenhaus überhaupt umsetzbar?
Nicht in dieser Form, findet Dr. Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V.
In Deutschland soll es ab 2019 Personaluntergrenzen in vier pflegeintensiven Bereichen geben. Sehen Sie Untergrenzen als den richtigen Weg?
Untergrenzen sind sicherlich in Betracht zu ziehen, um die Gefährdung von Patientinnen und Patienten durch zu geringe Personalbesetzungen auszuschließen und mögliche Gefährdungspotenziale zu erkennen und zu reduzieren. Ich glaube allerdings, dass wir uns durch den Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt damit abfinden müssen, dass Krankenhäuser nicht nach Belieben zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden. Deshalb müssen wir bei der Einführung und Umsetzung von Personaluntergrenzen mit Augenmaß vorgehen. Und wir müssen die Krankenhäuser dabei unterstützen, zusätzlich auszubilden, um eigenständig mehr Fachkräfte über Ausbildung zu gewinnen und junge Menschen für eine Tätigkeit im Krankenhaus zu begeistern. Das ist ein Prozess, der sich über einige Jahre hinziehen wird. Deswegen ist eine Einführung von Personaluntergrenzen mit gleichzeitiger Sanktion für die Krankenhäuser, die sie im Einzelfall nicht erfüllen können, oder der Schließung von Betten und Stationen aus unserer Sicht kurzfristig problematisch. Hier muss man individuell mit den Häusern ins Gespräch kommen und schauen, wo man sie bei dem Bestreben, ihre Personalausstattung zu verbessern, unterstützen kann.
Sie sprachen gerade von einem Gefährdungspotenzial bei geringer Personalbesetzung. Was meinen Sie damit genau?
Pflegepersonaluntergrenzen sind vom Gesetzgeber so definiert, dass sie nicht das Maß darstellen, bei dem gute Pflege und gute Behandlung stattfindet. Stattdessen skizzieren sie die Grenze, ab der eine Gefährdung von Patienten durch einen zu geringen Personaleinsatz auftreten kann. Und deswegen muss eine gute Personalausstattung unserer Meinung nach deutlich über den Pflegepersonaluntergrenzen liegen, über die jetzt gesprochen wird. Eine solche Personalausstattung muss dann aber auch anders als heute voll refinanziert werden.
Es gibt die Befürchtung, dass Stationen ohne Untergrenze durch die neue Regelung mit weniger Personal besetzt werden. Wie kann das verhindert werden?
Die Politik hat die Vorstellung, dass sie auch die anderen Stationen, die nicht als sogenannte pflegesensitive Bereiche in diese Pflegepersonaluntergrenzensysteme einbezogen werden, beobachten will. Kliniken müssen demnach in Zukunft Rechenschaft ablegen, wie viel Personal sie dort einsetzen, um Verschiebungen des Personals zwischen den Stationen zu vermeiden. Dieses ganze System wird einen unglaublich aufwendigen Dokumentationsprozess nach sich ziehen. Wir werden zusätzliche Pflegekräfte und Mitarbeiter brauchen, die all diese Situationen dokumentieren. Dann wird man am Ende in jeder Station, in jeder Schicht zu jeder Tages- und Nachtzeit darlegen müssen, wie viel Personal und wie viele Patientinnen und Patienten sich jeweils in den verschiedenen Bereichen befunden haben. Und wenn man sich das vor Augen führt, ist das ein großes Misstrauen, was den Krankenhäusern hier entgegengebracht wird. Ich bin davon überzeugt, dass in deutschen Krankenhäusern nicht flächendeckend schlechte oder gefährliche Pflege betrieben wird. Es gibt sicherlich immer mal die eine oder andere Situation, in der wir mit sehr knappen Personalbesetzungen arbeiten müssen, weil Mitarbeiter beispielsweise kurzfristig krank geworden sind. Aber wir können die Patienten dann nicht einfach nach Hause schicken. Man muss sich damit auseinandersetzen, dass wir uns in einer realen Welt bewegen, in der Patienten auch als Notfälle zu uns kommen. Wir können nicht sofort Mitarbeiter von irgendwoher holen, wenn drei bis vier Patienten zusätzlich auf eine Station kommen, nur um eine imaginäre Pflegepersonalbesetzungssystematik zu bedienen.
Wie wahrscheinlich ist es Ihrer Meinung nach, das Pflegepersonaluntergrenzen auf allen bettenführenden Stationen eingeführt werden?
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass man diese Regelung einführt, weil das eine Überregulierung wäre, die noch weit über all das hinausgeht, was wir heute kennen. Unser Vorschlag ist, dass man im Rahmen eines Ganzhausansatzes eine vernünftige Pflegepersonalausstattung für die einzelnen Krankenhäuser definiert, abhängig von ihrem Versorgungsauftrag. Bei einem Krankenhaus mit schwerkranken Patienten und hohem Pflegebedarf muss die Personalausstattung demnach höher sein als bei einem Krankenhaus mit geringem Pflegeaufwand. Das muss vernünftig und bedarfsgerecht festgestellt und kalkuliert werden. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man im Rahmen eines Ganzhausansatzes Personaluntergrenzen für Krankenhäuser festlegt. Und dann plädiere ich sehr eindrücklich dafür, es dem verantwortlichen Krankenhaus zu überlassen, wo diese Zahl an Pflegekräften zu jedem Moment vernünftigerweise eingesetzt werden muss. Denn wenn man glaubt, aus Berlin heraus definieren zu können, wie viele Pflegekräfte auf der Station A zum Moment B vernünftigerweise eingesetzt werden sollen, wird das nicht funktionieren. Das ist keine bedarfsgerechte Versorgung von Patientinnen und Patienten.
Welche Veränderungen würden Sie sich von der Politik bezüglich des Pflegekräftemangels und der Personaluntergrenzen wünschen?
Die Politik hat gesagt, es gibt dem Grunde nach einen zusätzlichen Bedarf an Pflegekräften in deutschen Krankenhäusern. Das sehen wir als Deutsche Krankenhausgesellschaft auch so. Und wir wollen dafür Maßnahmen ergreifen, um diese zusätzlichen Pflegekräfte in die Krankenhäuser zu bekommen. Es bleibt die Frage nach der Umsetzung. Ich würde mir hier eine konzertierte Aktion vorstellen, die mittel- und langfristig darauf abzielt, für Beschäftigung im Krankenhaus zu werben und junge Menschen für dieses Berufsbild und diese Ausbildung zu begeistern. Dabei geht es nicht nur um Pflege, sondern auch um Physiotherapie, Logopädie, Hebammen und alle möglichen Gesundheitsfachberufe. Mein Wunsch wäre es, eine ganz andere Wertschätzung und durchaus auch an der einen oder anderen Stelle eine bessere Bezahlung zu definieren. Und dann auch gemeinsam mit den Krankenhäusern Zielvereinbarungen zu treffen und beispielsweise festzulegen, wie groß ein angemessener Pflegebedarf wäre und welche Maßnahmen ergriffen werden können, um diesen Pflegebedarf zu decken. Es gibt keinen vernünftigen Grund, als Geschäftsführer eines Krankenhauses in dem Fall nicht alles zu tun, um diese Pflegekräfte zu gewinnen. Aber dieses Gewinnen von Pflegekräften darf sich nicht nur darin widerspiegeln, dass man sie anderen Krankenhäusern abwirbt. Es müssen mehr junge Menschen dafür begeistert werden, im Krankenhaus zu arbeiten. Wir brauchen ein größeres Potenzial an Mitarbeitern und Fachkräften. Und es darf nicht nur ein Verschiebebahnhof vom Altenheim oder dem Pflegedienst ins Krankenhaus oder in die Rehaklinik sein. Damit ist niemandem geholfen, zu allerletzt den Patientinnen und Patienten.
Der Volkswirt und Soziologe Dr. Gerald Gaß ist Geschäftsführer des Landeskrankenhauses (AöR) in Rheinland-Pfalz und seit 1. Januar 2018 Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft e. V.
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