Georg Baum by Patrick Schulze

Ein Rundumpaket für die Pflege

Personalentwicklung

Von KlinikRente | Fotos: Patrick Schulze — 15.06.2020

Ein Rundumpaket für die Pflege

Interview mit Georg Baum, Deutsche Krankenhausgesellschaft

Die Konzertierte Aktion Pflege der Bundesregierung soll Krankenhäuser und Kliniken entlasten. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft Georg Baum möchte noch einen Schritt weiter gehen. Er spricht von einem Rundumpaket zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Attraktivität, welches auch in Zukunft die Besetzung freier Stellen in der Pflege gewährleisten soll.


Vor welchen großen Herausforderungen sieht die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Krankenhäuser durch die Veränderung der Finanzierung in der Pflege in den kommenden zwei bis drei Jahren?

Die erste kurzfristige Herausforderung ist die Umstellung des Fallpauschalen-Systems innerhalb der Kliniken. Die Fallpauschalen sind durch die Reform um etwa 15 Milliarden Euro für die Anteile der Pflege reduziert worden. Die Budgets müssen jetzt neu organisiert, aufgebaut und die Auswirkungen der Umstellung analysiert werden.

Wichtig für die Krankenhäuser und Kliniken ist außerdem die hausindividuelle Refinanzierung von Tarifsteigerungen, die das neue Gesetz vorsieht. Wer mehr Pflegekräfte findet und einstellt, kriegt für diese Mitarbeiter auch zusätzliches Geld, was im vorherigen Fallpauschalensystem nicht der Fall war. Viele Kliniken haben allerdings massive Anpassungsbedarfe, da sie Pflegekräfte aufgrund von Knappheit durch Pflegehilfskräfte ersetzen mussten. Diese Kliniken müssen nun schauen, wie dies mit dem neuen System zu vereinen ist. Es wird weiterhin notwendig sein, Pflegekräfte zu ersetzen und sich gleichzeitig die Finanzierung zu sichern. Das sind weitere große Herausforderungen, die dazu führen werden, dass Kliniken mehr Investitionen zum Ersetzen von Personal durch Einrichtungen, Vorrichtungen oder moderne IT organisieren. Aber das muss organisatorisch eingeleitet werden und am Ende auch finanzierbar sein.

Sie haben die Fallpauschalen gerade schon angesprochen. Von vielen Ärzten und Kliniken hört man heute schon, dass sie aus den Fallpauschalen raus wollen. Was bleibt denn dann künftig noch für die DGRs?

Ab 2020 werden die Pflegekosten der Krankenhäuser mit ca. 15 Milliarden Euro aus den Fallgruppen ausgegliedert. Ob weitere Berufsgruppen wie die Ärzte mit etwa 6,7 Milliarden Euro auch ausgegliedert werden können, werden wir in Zukunft diskutieren müssen. Allerdings ist diese Diskussion abhängig davon, ob die Ausgliederung der Pflege ein Erfolgsmodell wird. Das neue System muss sich in seiner Anwendung erst mal bewähren und analysiert werden. Erst dann werden wir sehen, ob das Fallpauschalensystem eine Zukunft hat. Oder ob es eine Logik geben kann, die wieder zurückgeht auf das krankenhausindividuell finanzierte Budget, weg von abstrakten, auf Bundes- und Landesebene formierten Preisen, hin zur Finanzierung des Geldbedarfes des einzelnen Krankenhauses. Wenn die Ärzte aus dem System genommen werden sollten, macht es keinen Sinn mehr, ein Fallpauschalensystem, wie wir es heute haben, aufrechtzuerhalten.

Georg Baum by Patrick Schulze

Laut dem Pflegereport 2019 der AOK werden im Jahr 2030 rund 130.000 Pflegekräfte mehr benötigt als noch vor zwei Jahren. Wenn der Personalschlüssel so beibehalten werden soll, was müsste sich dann aus Sicht der DKG ändern, damit sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden und diesen Bedarf decken?

In der „Konzertierten Aktion Pflege“ sind sich alle einig, dass es neben pflegeentlastenden Maßnahmen, verbesserten Arbeitsbedingungen und pflegeunterstützendem Personal auch eine Reihe weiterer Initiativen geben muss, die die Attraktivität des Arbeitsplatzes im Krankenhaus stärken.

Dies unterstützt auch die Politik mit Gesundheitsförderprogrammen und mit Förderprogrammen zur Rückkehr in die Pflege für Pflegekräfte, die nicht mehr in der Pflege arbeiten. Von Kindergartenplätzen, dynamischen Arbeitszeitmodellen, Freistellungen für Pflegende zu Hause bis zum Angebot von Weiterbildungs-, Weiterentwicklungsmöglichkeiten müssen alle Register gezogen werden, um ein Rundumpaket zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Attraktivität zu schaffen. Ich glaube nicht, dass es uns gelingt, die Quote derjenigen, die nach einem Schulabschluss in die Pflegeausbildung gehen, wesentlich zu erhöhen. Das liegt daran, dass wir in Konkurrenz mit vielen anderen Berufen stehen. Hinzu kommt der immer größer werdende Anteil junger Menschen, die sich gegen eine Ausbildung und für ein Studium entscheiden. Deshalb ist der Ersatz der Fachpflegekräfte durch Hilfskräfte, Unterstützungen und Investitionen mindestens genauso wichtig. Die alleinige Fokussierung auf Pflegefachkräfte würde uns bei dieser Problematik nicht helfen.

Wäre es auch eine Maßnahme, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben?

Auch das ist ein Baustein, allerdings nur ein begrenzter. Es gibt schon seit Jahren Initiativen für Pflegefachkräfte aus dem Ausland. Viele Länder um uns herum haben selbst Pflegekräftemangel, deswegen sind die Maßnahmen für uns begrenzt. Wir begrüßen ausländische Pflegekräfte als Krankenhausträger zwar, aber sie sind nicht die ultimative Lösung des Problems.

In einem Interview mit der Welt am Sonntag von September 2019 sprachen Sie von ernstzunehmenden systematischen Problemen im Krankenhauswesen. Welche Probleme meinten Sie genau und wie kann man diesen entgegenwirken?

Wir sprechen von einer systembedingten Unterfinanzierung in den Krankenhäusern. Wenn ein Drittel der Krankenhäuser Defizite hat, dann liegt das nicht an den Krankenhäusern, sondern am System. Und dafür gibt es klare Anzeichen. Wir haben über eine Milliarde Defizite bei ambulanten Notfallpatienten, weil die Vergütung für eine Hausarztpraxis gemacht ist, aber nicht für den Hintergrund eines Krankenhauses. Wir haben statt sechs Milliarden nur drei Milliarden Euro für Investitionsmittel von den Ländern zur Verfügung. Und die jährlichen Kostensteigerungen, insbesondere die Personalkostensteigerungen, werden nicht automatisch in die Fallpauschalen überführt. Das sind die drei systemischen Probleme. Manche Kliniken kommen im jetzigen System noch bei plus minus Null raus, aber ebenso viele Kliniken werden mit der momentanen Finanzierungssystematik in die Defizite getrieben.


Der Diplom-Volkswirt Georg Baum ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) e. V. in Berlin, Vorstandsmitglied Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, Mitglied G-BA-Plenum. Herr Baum hat langjährige berufliche Erfahrung im Gesundheitswesen und war u.a. 13 Jahre lang Unterabteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium.

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