Interview mit Rainer Flechtner und Ralf Klose

Mehr Wertschätzung für die Pflege

Personalentwicklung

Von KlinikRente — 11.02.2019

Mehr Wertschätzung für die Pflege

Interview mit Rainer Flechtner und Ralf Klose, LVR-HPH-Netz Niederrhein

Der Fachkräftemangel in der Pflege ist allgegenwärtig und immer mehr Pflegekräfte sind überlastet. Doch wie kann man diesem Mangel entgegenwirken und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlasten? Mit mehr Anerkennung und Wertschätzung für die Pflegekräfte, erklären Rainer Flechtner und Ralf Klose vom LVR-HPH-Netz Niederrhein.

Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung wechseln viele Pflegekräfte nach einigen Jahren aufgrund von Überbelastung den Beruf. Wie kann man diese Personen entlasten?

Rainer Flechtner: Ein großes Thema ist die Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit, um Mitarbeitende an den Betrieb zu binden. Dann sind Angebote im betrieblichen Gesundheitsmanagement sehr wichtig, damit Mitarbeitende leistungsfähig und gesund bleiben.Gespräche zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) sind ebenfalls im Allgemeinen sehr wichtig. Mitarbeitende, die unter sechs Wochen erkrankt sind, können ein BEM-Gespräch in Anspruch nehmen, in welchem geklärt wird, ob die gesundheitlichen Gebrechen ursächlich mit dem Arbeitsplatz zusammenhängen. Wenn ja, wird versucht, eine Entlastung herbeizuführen. Und ich glaube, ein wesentliches Thema ist die Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen im Betrieb. Dadurch erhält man eine entsprechende Bindung. Man erreicht, dass die betroffene Person im Betrieb bleibt und sich weiterhin wohlfühlt.

Ralf Klose: Ich glaube, dass die Rahmenbedingungen stimmen müssen. Es gibt nicht nur ein Puzzleteil, sondern eine Vielzahl von Puzzleteilen, die dazu führen, dass die Mitarbeitenden zufrieden sind. Ich glaube, dass gute Führung und die Unternehmenskultur sehr wichtig sind. Und da stinkt der Fisch vom Kopf. Deswegen glaube ich, dass von der Unternehmensleitung bis zum Mitarbeitenden vor Ort sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen werden muss, was wir verkörpern, welche Ziele wir haben und wie wir das gemeinsam erreichen. Und das ist immer ein Maßnahmenmix aus vielen kleinen Details, die dazu führen, dass Mitarbeiter zufriedener sind.

Und wie kann man den Pflegeberuf besonders für junge Menschen attraktiver gestalten?

Rainer Flechtner: Die Vergütung, auch während der Ausbildung, müsste besser sein. In der Heil- und Erziehungspflege erhalten die Auszubildenden zunächst keine Vergütung.  Zwei oder drei Jahre lang eine Ausbildung ohne Vergütung zu machen ist meiner Meinung nach ein Hemmnis für junge Leute. Da sollte man eine Änderung herbeiführen. Dann sollte im Betrieb darauf geachtet werden, dass Praxisanleiter vorhanden sind, unter Umständen Paten gestellt werden und ein allgemeines Praxisangebot besteht.

Ralf Klose: Man muss sich Zeit für die Ausbildung nehmen. Auszubildende sind keine Lückenfüller, auch wenn sie leider sehr gerne als solche eingesetzt werden. In der Verwaltung werden sie beispielsweise zum permanenten Kopieren oder Ablegen ausgenutzt. So ist es in der Krankenpflege auch. Müll wegbringen, Betten machen und alles Weitere gehört dazu. Aber ich glaube, dass es die Attraktivität der Ausbildung ausmacht, ob die jungen Menschen bei der Stange bleiben.

Worauf achten Sie besonders bei der Suche nach Mitarbeitenden? Wie stellen Sie sicher, dass Sie Pflegekräfte bekommen?

Rainer Flechtner: Wir schöpfen meiner Meinung nach alle erdenklichen Möglichkeiten aus. Wir annoncieren im Supermarkt am schwarzen Brett, dass Kräfte gesucht werden. Wir haben Dienstfahrzeuge, die plakatiert werden. Wir haben seit etwa einem Jahr ein Prämienangebot, bei dem jeder Mitarbeitende einen Geldbetrag erhält, wenn er einen neuen Mitarbeiter oder eine neue Mitarbeiterin anwirbt. Wir gehen offensiv in Schulen und Jobbörsen und versuchen, uns da darzustellen. Und trotzdem merken auch wir am Niederrhein den Fachkräftemangel.

Ralf Klose: Ich sage immer, wer bei drei nicht auf dem Baum ist, den nehmen wir. Ich glaube, es kommt nicht mehr auf die Grundqualifikation und Grundausbildung an. Wichtig ist meines Erachtens, dass wir den Leuten eine Chance geben. Und es ist leider heutzutage unsere Aufgabe, vieles nachzuholen, was früher versäumt wurde. Wir müssen die Ausbildung auf mehrere Beine stellen, sowohl auf die fachliche als auch auf die persönliche Ausbildung. Damit machen wir die jungen Leute fit für den Arbeitsmarkt, was viele, die sich bei uns bewerben, leider nicht sind.

Interview mit Rainer Flechtner und Ralf Klose

Welche Lösungsansätze würden Sie neben monetären Anreizen für das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege vorschlagen?

Ralf Klose: Es gibt ein Sammelsurium von Lösungswegen. Geld ist ein kurzzeitiger Effekt, der verpufft. Deswegen ist das kein idealer Ansatz. Herr Flechtner hat vorhin von  Wertschätzung gesprochen. Es ist die Anerkennung, die Wertigkeit und das Selbstverständnis. Die Pflege stellt sich oft unter den Scheffel und hat sich in eine bestimmte Rolle zurückgezogen. Sie ist gerne diejenige, auf der rumgehackt wird oder die für alles verantwortlich gemacht wird. Ich denke, aus diesem Schneckenhaus muss die Pflege rauskommen und sich positionieren. Die Ärzte haben das vor Jahren gemacht. Herr Laumann hat vor einigen Jahren auf einer Podiumsdiskussion gesagt: Wenn die Pflege besser organisiert wäre, hätten wir einen zweiten Marburger Bund der Pflege. Und dann würde diese Wertigkeit der Pflege in einen anderen Fokus rücken. Wie man das finanziert ist eine andere Frage. Aber im Grunde hat es was mit der Wertigkeit, mit dem Ansehen und dem Selbstverständnis zu tun.

Rainer Flechtner: Ich möchte noch den Faktor der guten Teamarbeit als motivierendes Mittel ergänzen. Dieser Motivator löst Zufriedenheit aus und bindet die Kolleginnen und Kollegen an den Betrieb. In unserem Haus machen wir Teamarbeit und fordern sie ein. Wir haben in der Vergangenheit bereits dreimal eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, an deren Umsetzung ich primär beteiligt war. Dabei haben wir festgestellt, dass Teamarbeit und Zufriedenheit unmittelbar zusammenhängen. Bei schlechter Teamarbeit gibt es eine große Unzufriedenheit. Gibt es gute Teamarbeit, dann gehen die Mitarbeitenden gerne zur Arbeit.

Und welche Veränderungen würden Sie sich von der Politik wünschen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?

Rainer Flechtner: Man darf nicht den momentanen Stand sehen, der katastrophal ist, sondern sollte einen Plan für das Jahr 2030 aufstellen. So kann man beispielsweise schauen, wie sich die häusliche Pflege, die ja im Wandel begriffen ist, entwickelt. Dienstleistungsangebote werden im Allgemeinen wichtiger und binden immer mehr Kräfte. Eine Herausforderung der Politik wird es sein, die Weichen für mehr ausgebildete Kräfte zu legen, damit die Zukunft der Pflege abgesichert ist. Und man muss sich auch für ausländische Fachkräfte öffnen.

Ralf Klose: Vielleicht ist das eine Lösung oder ein Teil der Lösung. Wir müssen uns aber auch vorstellen, wie das Gesundheitswesen im Jahr 2030 aussieht und ob es die Krankenhausversorgung, wie wir sie zurzeit haben, überhaupt noch gibt. Man muss sich fragen, in welche Richtung sich das Gesundheitswesen entwickelt und ob es in Zukunft mehr ambulante Bereiche geben wird. Im Grunde genommen wissen die Zukunftsforscher, wo es hingeht, und haben sehr gute Prognosen erstellt. Daran muss man sich orientieren. Kurzfristige Maßnahmen helfen jetzt nicht. Wie Herr Flechtner schon sagte, handelt es sich hierbei um eine langfristige Sache. Und gegebenenfalls führt es dazu, dass man Kapazitäten verknappen und Krankenhäuser schließen muss. Vielleicht sind wir zu verwöhnt, weil wir an der einen oder anderen Stelle ein Überangebot haben. Vielleicht haben wir hinterher nur noch ein Spezialistentum für die Spezialversorgung.

Ralf Klose ist seit 2012 als Kaufmännischer Direktor im LVR-HPH-Netz Niederrhein tätig. Vorher war er über 10 Jahre in konfessionellen Krankenhäusern u. a. für die Personalbereiche zuständig.

Rainer Flechtner war von 1999 bis 2016 Vorsitzender und bis heute von der Arbeit freigestellter 1. stellv. Vorsitzender des Personalrats des LVR-HPH-Netz Niederrhein. Seit 2014 ist er zusätzlich zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten bestellt.

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