Effizienzgewinne müssen den Menschen zugutekommen
Interview mit Sylvia Bühler, Mitglied im Bundesvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft und Leiterin des ver.di-Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen
Auch im Krankenhaus ändert die Digitalisierung Abläufe und Arbeitsaufgaben. Darin liegen große Chancen, die für eine gute Patientenversorgung und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen genutzt werden sollten, erklärt Sylvia Bühler vom Bundesvorstand der Gewerkschaft ver.di. Dafür brauche es klare Rahmenbedingungen – unter anderen verbindliche Personalvorgaben in allen Bereichen des Krankenhauses.
KlinikRente: Was bedeutet die Digitalisierung im Krankenhaus?
Sylvia Bühler: Die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion über Digitalisierung bezieht sich immer noch größtenteils auf die Industrie – siehe das Schlagwort von der »Industrie 4.0«. Doch digitale Technologien spielen in vielen anderen Bereichen ebenfalls eine große Rolle. Auch im Krankenhaus ändert das neue Zusammenspiel von Mensch und Maschine Abläufe und Arbeitsaufgaben. Darin liegen große Chancen, die für eine gute Patientenversorgung und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen genutzt werden sollten.
In der Industrie könnte Prognosen zufolge durch die Digitalisierung fast jeder vierte, im Handel gar jeder dritte Arbeitsplatz überflüssig werden. Das ist im Gesundheitswesen anders: Hier erwarten Wissenschaftler/-innen insgesamt einen deutlich positiven Beschäftigungseffekt. Doch es gibt auch in den Krankenhäusern Bereiche, in denen Stellen zur Disposition gestellt werden könnten, zum Beispiel in der Logistik oder der Verwaltung. Die davon betroffenen Beschäftigten brauchen Arbeitsplatzsicherheit und müssen gegebenenfalls für andere Stellen qualifiziert werden. Denn nur wenn sie keine Angst um ihre Existenz haben müssen, können sich Beschäftigte auf neue Entwicklungen einlassen.
Welche rechtlichen und ethischen Herausforderungen sehen Sie in der Digitalisierung im Krankenhaus?
Der Einsatz digitaler Technik kann viele Erleichterungen bringen, zum Beispiel bei der Dokumentation. Das ist hochwillkommen. Doch was nicht verloren gehen darf, ist der persönliche Austausch über Patientinnen und Patienten, zur Übergabe oder bei der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen. Das kommt wegen der Arbeitshetze schon heute oft zu kurz. Im Gespräch werden wichtige Informationen weitergegeben, die in der Dokumentation nicht auftauchen – und dort auch nichts zu suchen haben.
Datensicherheit und Datenschutz müssen ausgebaut werden – nicht nur in Bezug auf die Daten der Patientinnen und Patienten, sondern auch der Beschäftigten. Bei IT-gestützten Dienstleistungsprozessen fallen auch persönliche Daten an. Durch Softwareprogramme und Wearables können die Arbeitsleistung, das Verhalten oder die Gesundheit der Beschäftigten kontrolliert werden. Dafür braucht es klare Schutzvorschriften.
Ein problematischer Aspekt der Digitalisierung ist, dass diese die Wettbewerbsposition privater Krankenhauskonzerne weiter verbessern könnte. Schon jetzt haben kleinere kommunale Kliniken zum Teil große Schwierigkeiten, die notwendigen Investitionen zu stemmen. Aufgrund unzureichender Förderung durch die Bundesländer wird vielfach Geld, das eigentlich für die Patientenversorgung und das Personal gedacht ist, für Bauvorhaben zweckentfremdet. Die Einführung digitaler Technologie erfordert zusätzliche Investitionen – ein Konkurrenzvorteil für private Großkonzerne, die bessere Zugänge zum Kapitalmarkt haben und Synergieeffekte nutzen können. Dabei scheinen gerade die profitorientierten Unternehmen die Digitalisierung vor allem zur Kostensenkung nutzen zu wollen. So erwarten einer aktuellen Studie zufolge 28 Prozent der Beschäftigten privater Krankenhausträger Jobverluste infolge der Digitalisierung, 17 Prozent sprechen von neuen Arbeitsplätzen. Bei Kliniken in öffentlicher Trägerschaft ist es in etwa umgekehrt. Es wäre fatal, wenn die Digitalisierung den Trend zur Kommerzialisierung in diesem zentralen Bereich der Daseinsvorsorge noch verstärken würde.
Wie sollte man aus Ihrer Sicht mit diesen Herausforderungen umgehen?
Der Staat steht in der Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine hohe Versorgungsqualität und gute Arbeitsbedingungen sicherstellen. Neben der Finanzierung der notwendigen Investitionen betrifft das vor allem die verbindliche Festlegung personeller Mindeststandards in allen Bereichen des Krankenhauses. Gesetzliche Personalvorgaben sind gerade in Zeiten rasanter technologischer Entwicklungen unerlässlich, damit die Effizienzgewinne tatsächlich den Menschen zugutekommen. Sie dürfen nicht dazu missbraucht werden, weiter an der Kostenschraube zu drehen. Wenn mehr als ein Drittel der Krankenhausbeschäftigten eine Zunahme von Arbeitshetze und Leistungsdruck beklagt, ist das ein Alarmsignal. Pflegekräfte und andere brauchen dringend Entlastung statt noch mehr Stress. Dafür setzt sich ver.di auf politischer, tariflicher und betrieblicher Ebene ein.
Wie kann die Digitalisierung die Rahmenbedingungen in Gesundheitsberufen verbessern?
Digitale Technik kann zur dringend nötigen Entlastung der Beschäftigten und damit zu guter Patientenversorgung beitragen. Doch sie ist nicht die Lösung für den eklatanten Personalmangel. Unseren Befragungen zufolge fehlen in den Krankenhäusern 162.000 Beschäftigte, allein 70.000 davon in der Pflege. Insbesondere nachts sind die Stationen gefährlich unterbesetzt. Pflegeroboter werden diese Arbeit nicht übernehmen – das ist weder zu erwarten noch wünschenswert. Um den Fachkräftebedarf in Zukunft zu decken, bedarf es guter Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sowie einer angemessenen, tariflich gesicherten Bezahlung.
Welche Maßnahmen können Arbeitgeber ergreifen, um die digitale Transformation besonders vorteilhaft für ihre Beschäftigten zu gestalten?
Ich empfehle den Arbeitgebern dringend, die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen bei der Auswahl, Einführung und Evaluation neuer Technologien einzubeziehen. Im Moment ist das noch viel zu selten der Fall, ein Großteil der Krankenhausbeschäftigten wird Umfragen zufolge dabei nicht beteiligt. Neue Technologien bedeuten veränderte Anforderungen an die Beschäftigten. Sie müssen dafür qualifiziert werden – während der Arbeitszeit und auf Kosten des Arbeitgebers. Auch in der Ausbildung müssen digitale Technologien stärker berücksichtigt werden.
Wenn sich Beschäftigte auf Neues einlassen sollen, brauchen sie Sicherheit und gute Rahmenbedingungen. Dafür können Arbeitgeber sorgen, indem sie gute Tarifverträge abschließen, die Mitbestimmungsrechte der Interessenvertretungen respektieren und die Gesundheit der Beschäftigten schützen. Die Digitalisierung darf nicht dazu führen, dass die Arbeitszeiten weiter flexibilisiert werden, Beschäftigte ständig erreichbar sein müssen und die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen. Die Digitalisierung braucht klare Regeln und keine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes oder anderer Schutzvorschriften.
Was erhoffen Sie sich von der Digitalisierung im Gesundheitswesen?
Laut einer Umfrage des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege aus dem Jahr 2015 erhoffen sich Pflegekräfte vor allem eins: mehr Zeit. Die Patientinnen und Patienten erwarten zu Recht, dass sie professionell und mit Ruhe gepflegt werden. Doch die menschliche Zuwendung kommt im Krankenhausalltag oft zu kurz. Die Überlastung ist so groß, dass selbst die nötige Händedesinfektion nicht immer gewährleistet ist, worauf Pflegekräfte im September 2017 mit einem bundesweiten Aktionstag hingewiesen haben. Gleiches gilt für die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen. Das muss sich ändern. Beschäftigte in der Pflege müssen ihren Beruf endlich wieder so ausüben können, wie sie es gelernt haben und wie es richtig ist. Dazu kann der Einsatz digitaler Technik beitragen. In diesem Sinne will ver.di die Digitalisierung und das Krankenhaus der Zukunft mitgestalten.
Sylvia Bühler ist Mitglied im Bundesvorstand der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft und Leiterin des ver.di-Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.