An der Branche vorbei reguliert
Interview mit Dr. Christopher Liebscher, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht
Wer ist angestellt, wer ist selbstständig? Und wann gilt der Einsatz von Fremdpersonal als Arbeitnehmerüberlassung? Auch im Gesundheitsbereich gibt es diesbezüglich Abgrenzungsprobleme, nur dass hier per Leiharbeit angeheuertes Fachpersonal meistens in einer sehr guten Arbeitsmarktposition ist – ganz im Gegensatz zu anderen Branchen. Die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in diesem Jahr sollte die Missstände eigentlich beheben. Hat sie aber nicht, findet Dr. Christopher Liebscher, Fachanwalt für Arbeits- und Medizinrecht.
KlinikRente: Wie hat sich die Reform des Arbeitnehmerüberlassungs-
gesetzes 2017 auf die Gesundheitsbranche ausgewirkt?
Dr. Christopher Liebscher: Die AÜG-Reform hat die Problematik der Arbeitnehmerüberlassung, vor allem der illegalen Arbeitnehmerüberlassung auch in der Gesundheitsbranche erneut in den Vordergrund gerückt. Ich denke, dass die Personalverantwortlichen im Krankenhaus sich künftig noch stärker mit der Problematik und den Konstellationen, in denen diese Problematik auftauchen kann, beschäftigen werden. Andere Branchen waren in den letzten Jahren in Bezug auf diese Thematik bereits sensibler. Durch die Reform ist das Problembewusstsein nun auch bei den Verantwortlichen im Krankenhaus angekommen. Insofern gehe ich davon aus, dass in den kommenden Monaten die Konstellationen überprüft werden, bei denen man auf die Gefahr der illegalen Arbeitnehmerüberlassung achten muss. Meines Erachtens sind das vor allem die Kooperationen mit MVZs, mit niedergelassenen Ärzten und Therapiezentren. Eine Rolle spielt dabei die Problematik, dass man Ärzte im Rahmen der Weiterbildung auch in anderen Häusern einsetzt. Darüber hinaus wird es problematisch, wenn Pflegekräfte gestellt oder von Dritten zum Einsatz im eigenen Haus überlassen werden. Und dann ist da noch die generelle Problematik der Personalservicegesellschaften.
Was sind denn die maßgeblichen Änderungen für die Arbeitnehmerüberlassung?
Die Arbeitnehmerüberlassung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten wellenförmig entwickelt. Zunächst gab es eine Phase der Liberalisierung und nun befinden wir uns in einer Phase der Re-Regulierung. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Reform ausdrücklich gesagt, dass er die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre Kernfunktion zurückführen möchte. Insofern wird die Thematik in Zukunft sicher restriktiver gehandhabt. Es wird dann mehr Kontrollen und höhere Bußgelder geben. Die maßgeblichen Änderungen im Gesetz sind die grundsätzliche Reduzierung der Überlassungsdauer auf 18 Monate sowie die Reduzierung der Ausnahmen vom Equal-Pay- und vom Equal-Treatment-Gebot, sprich vom Gleichstellungsgebot. Hinzu kommt eine Fülle von Formanforderungen, die in den einzelnen Verträgen verlangt oder eingeführt worden sind. Das betrifft den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag, aber auch den Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher. Die tariflichen Regelungen wurden ebenso gestärkt wie die Stellung der Betriebsräte. Diese sind umfassend über den Einsatz von Leiharbeitnehmern zu informieren. Ich denke, dass auch die Betriebsräte zukünftig eine stärkere Kontrollfunktion einnehmen werden.
Warum war genau jetzt eine Reform erforderlich?
Die Reform war ein Ziel der Regierung und auch im Koalitionsvertrag verankert. In der politischen Diskussion war immer wieder gefordert worden, missbräuchliche Werkvertragsgestaltungen zurückzudrängen. Die Forderung umfasste die Themen Scheinselbstständigkeit und illegale Arbeitnehmerüberlassung, und beide Problematiken ist man jetzt mit der Reform angegangen. Rechtsunsicherheiten, die es in beiden Bereichen gibt, bestehen aber weiter fort. Auch heute, nach der Reform, ist die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen genauso diffizil wie zuvor. Zwischen der eindeutigen Form der Arbeitnehmerüberlassung und dem klaren Werkvertrag gibt es ebenfalls eine ganze Menge von Schattierungen und Grautönen. Und auch hier ist die Problematik der Abgrenzung und der klaren Definition – was ist eigentlich Arbeitnehmerüberlassung? – gleich schwierig geblieben. Die wesentliche Problematik ist ja zu bestimmen, wer selbstständig ist und wer Arbeitnehmer. Und wann der Einsatz von Fremdpersonal Arbeitnehmerüberlassung ist und wann nicht. Diese Abgrenzungsfragen sind unglaublich schwierig rechtssicher zu beantworten. Die Gesetzesänderung hat diesbezüglich keinen Zugewinn an Rechtssicherheit bewirkt.
Wer profitiert am meisten von der neuen Reform? Leiharbeiter, Verleiher oder auch Entleiher?
Man muss hier zwischen Leiharbeit in der Gesundheitsbranche bzw. im Krankenhaus und Leiharbeit in anderen Branchen unterscheiden. Der Gesetzgeber hat dabei immer vor Augen, dass der Leiharbeitnehmer geschützt werden soll. Er geht davon aus, dass Leiharbeit nicht das Normalarbeitsverhältnis ist und sich der Leiharbeitnehmer eigentlich in einer schwachen Arbeitsmarktposition befindet. Der Gesetzgeber hat vor Augen, dass mit Leiharbeitern normalerweise Auftragsspitzen abgefangen werden sollen. In der Gesundheitsbranche ist dieses Bild aber eigentlich nicht zutreffend. Leiharbeit bei Ärzten oder auch bei Pflegekräften zeichnet sich dadurch aus, dass ein Arbeitskräftemangel herrscht, dass der Arzt also in der guten Arbeitsmarktposition ist. Ich weiß auch von Zeitarbeitsfirmen, die Ärzten bessere Konditionen bieten als beispielsweise Krankenhäuser. Also ist der Leiharbeitnehmer im Gesundheitsbereich im Grunde nicht in derselben Position wie in anderen Branchen. Hinzu kommt, dass viele Häuser Zeitarbeit nicht dazu verwenden, um Auftragsspitzen abzufangen, sondern einfach, um ihren regulären Betrieb aufrechterhalten zu können – beispielsweise bei der Nachbesetzung von Stellen, bei Elternzeitvertretung etc. Das AÜG oder das Bild, das der Gesetzgeber von Zeitarbeit hat, trifft auf die Gesundheitsbranche weniger zu. Wer profitiert von der Reform? Das ist schwer zu sagen. Grundsätzlich zielt die Reform darauf ab, Umgehungstatbestände zu verhindern und in den Betrieben Transparenz zu schaffen, auch für den Leiharbeitnehmer. Also gehe ich davon aus, dass Betriebsräte und Leiharbeitnehmer grundsätzlich von der Reform profitieren. Ein Verlierer dieser Reform ist sicherlich auch die Zeitarbeitsbranche insgesamt.
Wie bewerten Sie die Entwicklung der Leiharbeitsbranche in den nächsten fünf Jahren?
Auch hier muss man unterscheiden zwischen der Leiharbeitsbranche insgesamt und der Leiharbeitsbranche im Gesundheitsbereich. Ich denke, die Zeitarbeit insgesamt ist durch die Reform schon tangiert. Und ich gehe davon aus, dass es grundsätzlich einen Rückgang an Leiharbeit geben wird – allein durch die Erschwernisse, die mit dem Gesetz hinzugekommen sind. Vor allem Entleiher, also Unternehmen, werden sich den Einsatz von Leiharbeitnehmern genau überlegen. Die Einsätze werden wahrscheinlich auch verkürzt werden, jedenfalls regelmäßig auf neun Monate begrenzt. In der Gesundheitsbranche ist, wie bereits erwähnt, das entscheidende Stichwort der Fachkräftemangel: Agenturen, die Krankenhäusern Arbeitskräfte vermitteln, in welcher Form auch immer, wird es auch in den kommenden fünf Jahren geben. Aber auch die Zeitarbeitsunternehmen oder -agenturen in der Gesundheitsbranche werden die AÜG-Reform stark berücksichtigen müssen.
Dr. Christopher Liebscher ist als Fachanwalt für Arbeitsrecht und Medizinrecht auf die Beratung im Gesundheitssektor spezialisiert und betreut bundesweit Krankenhäuser in jeder Art der Trägerschaft. Dr. Liebscher dissertierte rechtsvergleichend zum deutschen und US-amerikanischen Recht an der University of Pennsylvania, wo er 2000 zum Master of Laws (LL. M.) graduierte. Er publiziert regelmäßig in arbeits- und medizinrechtlichen Fachzeitschriften und Handbüchern und ist als Co-Autor der Werke „Krankenhaus-Arbeitsrecht“, „Handbuch Führungskräfte“ und „Chefarzt im Unternehmen Krankenhaus“ tätig, die in namhaften Verlagen erschienen sind.