Digitalisierung und Datenschutz – Eine Kombination wider Willen?
Interview mit Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn
In unseren hoch technologisierten modernen Krankenhäusern ist der Gesundungsprozess der Patienten eng mit den digitalen Kontroll- und Überwachungsgeräten verknüpft. Auch die Krankenhausmitarbeiter kommunizieren digital, werden digital disponiert und überwacht. Die ständige Erreichbarkeit und die Ungewissheit über gespeicherte Daten und deren Verwendung erzeugen bei allen Beteiligten Angst – dabei könnte man sich eigentlich über die neue Schnelligkeit und Flexibilität freuen! Für den Arbeitsrechtler Prof. Dr. Gregor Thüsing rufen die neuen Möglichkeiten laut nach neuen Grenzen. Denn Teile des deutschen Arbeitsrechts stammen noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.
KlinikRente: Professor Thüsing, welche Bereiche im Krankenhaus sind am stärksten durch die digitale Transformation beeinflusst worden?
Prof. Dr. Gregor Thüsing: Der Personalbereich ist ein ganz zentraler Bereich im Krankenhauswesen. Und so ist auch der Einfluss der Digitalisierung auf diesen Bereich ein maßgeblicher Faktor für die zukünftige Gestaltung des Krankenhauses. Der Einsatz von Arbeitnehmern wird digital geplant. Es wird digital überwacht, ob ihnen Fehler unterlaufen. Arbeitnehmer benutzen selbst digitale Geräte, um zu kommunizieren. All das führt zu Fragestellungen des Arbeitsrechts, auch des Arbeitsrechtlers: Was ist zulässig, was ist nicht zulässig?
Wie beurteilen Sie denn den Grad der Digitalisierung in den Krankenhäusern?
Es gibt sicherlich Arbeitgeber und Arbeitsbereiche, an denen die Digitalisierung weitgehend vorüberzieht. Auch in 20 Jahren werden Sie keine vollelektronische Currywurst essen. Aber dort, wo Hightech natürlicher Bestandteil des Arbeitsumfelds ist und wo gerade Technik, Wissenschaft und Innovation den Marktführer bestimmen, wird die Digitalisierung in der Arbeitswelt immer wichtiger. Ein solcher Bereich scheint mir auch das Krankenhaus zu sein: Kein Krankenhaus funktioniert heute mehr ohne Hightech. Und wo Hightech im Spiel ist, sind auch die rechtlichen Grenzen zu beachten.
Und wenn wir dort noch eine Unterteilung vornehmen, einmal Verwaltung und einmal Tagesgeschäft im Krankenhaus, wie sehen Sie dort den Grad der Digitalisierung?
Im Bereich der Verwaltung mag das Krankenhaus ein Arbeitgeber sein wie viele andere. Dort wird die Digitalisierung im gleichen Maße Schritt halten, wie sie beim „Durchschnittsarbeitgeber“ Schritt hält. Anders ist es in Bereichen, in denen es um den Kontakt zum Patienten geht, um Kontrolle, und um die Einhaltung medizinischer Standards, die auch digital bestimmt werden. In diesen Bereichen wird das Krankenhaus in einem stärkeren Maß der Digitalisierung ausgesetzt, als es bei anderen Arbeitgebern der Fall ist.
Sie haben das Arbeitsrecht schon angesprochen. Wie wirkt sich die digitale Transformation auf das Arbeitsrecht aus?
Das Arbeitsrecht ist heute noch weitgehend analog ausgelegt und wir müssen uns fragen, ob es nicht eines digitalen Updates bedarf. Die Arbeitszeitregelungen gehen in ihrem Kern zurück auf das Arbeitszeitgesetz vor dem Zweiten Weltkrieg. Die dort vorgeschriebenen Ruhepausen sind sinnvoll im Hinblick auf das Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers. Man muss aber fragen, ob zum Beispiel bereits eine E-Mail am späten Abend diese Ruhepausen unterbricht. Ob es vielleicht sinnvoll ist zu definieren, wie viele E-Mails am Abend noch zu akzeptieren sind. Ob es eine Pflicht des Arbeitnehmers gibt, darauf zu antworten – oder eben nur die Möglichkeit! Wie damit umgegangen wird, ist zunächst eine Frage guter Personalpolitik und des sinnvollen Umgangs mit den Mitarbeitern, zweitens aber auch eine rechtliche Frage, die ebenfalls durch die Gerichte oder durch den Gesetzgeber geklärt werden muss.
Wir haben im nächsten Jahr ein neues Thema: Die Datenschutzgrundverordnung, die verabschiedet wurde und am 25.05.2018 in Kraft tritt. Wie lassen sich diese beiden Punkte im Krankenhausbereich verbinden? Was sind die größten Knackpunkte?
Bei der Digitalisierung gibt es unter anderem die Gefahr der ungewollten und unbekannten Überwachung. Wo Digitalisierung ist, da ist auch die Frage nach dem Datenschutz. Denken wir ganz analog, dann haben wir ein gutes Gefühl dafür, was mit unseren Daten passiert und welche Daten wir preisgeben. Dort, wo aber unser Persönlichkeitsrecht dem digitalen Zugriff ausgesetzt ist, bedarf es der Sicherungsmittel und auch der recht klaren gesetzlichen Grenzen, um hier ein gutes Maß Persönlichkeitsschutz zu gewährleisten. Dafür gibt es praktische Beispiele: Am 25. Mai nächsten Jahres tritt nicht nur die Datenschutzgrundverordnung in Kraft, sondern es gibt auch ein novelliertes Bundesdatenschutzgesetz. Hier tauchen Fragen auf wie zum Beispiel: Wann kann ich Nachforschungen anstellen im Hinblick auf mögliche Straftaten, die der Arbeitnehmer im Dienst begangen hat? Es ist die Frage, welche Daten für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind. – Welche Daten sind aber vielleicht auch für die Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich? Wie gehen wir damit um? Wie halten wir es mit der Einwilligung des Arbeitnehmers, der die Datenverarbeitung durch sein „Ja“ legitimieren kann? Der Gesetzgeber hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um ein freiwilliges „Ja“ handeln muss – und dass nicht jedes eilig dahin gemurmelte „Meinetwegen“ ausreichen soll. Das alles sind Dinge, die in der Personalpraxis umgesetzt werden müssen. Und da sind auch die Krankenhäuser gefordert, ihre sinnvollen Antworten zu finden.
Wo sehen Sie die größten Entwicklungspotenziale für die digitale Arbeitswelt im Krankenhaus?
Digitalisierung heißt größere Mobilität: Arbeitnehmer können nicht nur im Betrieb arbeiten, sondern auch von zu Hause, und da sind sie vielleicht ähnlich produktiv. Eine Arbeit mit kranken Personen kann man nicht von zu Hause ausüben. Aber vielleicht kann die eine oder andere Verwaltungsaufgabe dann doch im Home-Office erledigt werden. Die Digitalisierung muss nicht nur eine Bedrohung für den Arbeitnehmer sein, der sich vielleicht einer bislang ungekannten Überwachung ausgesetzt sieht. Sie kann für den Arbeitnehmer auch eine Chance darstellen, eine größere Mobilität und Souveränität zu erreichen, um digital transportierbare Arbeiten zu einem Zeitpunkt und dort zu erledigen, wo es ihm am besten passt. Vielleicht dort, wo die Vereinbarkeit von Familie und Beruf am größten ist.
Prof. Dr. Gregor Thüsing promovierte in den 90er-Jahren in Köln und graduierte in Harvard, bevor er in Köln habilitiert wurde. Er arbeitete in der Zentralen Unternehmensentwicklung der Bertelsmann AG, bevor er in die universitäre Lehre ging. Seit 2004 ist Thüsing Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Er hat zahlreiche Ämter in juristischen Vereinigungen inne, unter anderem im Vorstand der Gesellschaft für Europäische Sozialpolitik und in der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentags. Uns beantwortet der Experte Fragen zum Thema Digitalisierung und Arbeitsrecht im Krankenhaus.