Die Pflegereform neu denken
Hinweis:
Dieses Interview entstand im Rahmen des 15. Personalkongresses der Krankenhäuser im Oktober 2019 und ist demnach in Teilen nicht mehr aktuell. Die Aussagen des Interviewpartners beziehen sich auf die damalige Situation. Bitte beachten Sie dies beim Lesen des Textes.
Interview mit Thomas Köhler, Zweckverband der Krankenhäuser
„Wir müssen die Pflegekräfte jetzt in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützen, indem man aufzeigt, wie attraktiv der Pflegeberuf eigentlich ist“, sagt Thomas Köhler vom Zweckverband der Krankenhäuser. Wir haben mit ihm über das Image der Pflege gesprochen und darüber, wie man den Pflegeberuf in Zukunft attraktiver gestalten könnte.
Welche Auswirkungen auf die Krankenhäuser sieht der Zweckverband der Krankenhäuser durch die Pflegereform?
Wenn man ausschließlich die Finanzierungsinstrumente betrachtet, dann erkennt man, dass es eine klare Abkehr von Prozessen und Effizienzgewinn hin zu einer Selbstkostendeckung über ein pauschales System gibt. In diesem System werden alle Pflegemaßnahmen eingetragen und bezahlt. Dies wird dazu führen, dass wieder mehr Pflegekräfte in den Krankenhäusern eingestellt werden. Dieser Trend wird anhalten, solange der Markt das hergibt. Doch sobald der Markt gesättigt ist, wird es einen Kampf um qualifizierte Pflegekräfte geben. Man wird versuchen, Personal auch aus anderen Sektoren zu erwerben. Der Effekt aus dieser Entwicklung ist für die Krankenhäuser und Kliniken sicherlich positiv, da in vielen Häusern momentan noch Fachkräftemangel herrscht.
Eine Problematik sehe ich in den Pflegepersonaluntergrenzen im Bezug auf die Pflegehilfskräfte. Wenn sich die Untergrenzen weiterhin hauptsächlich auf examinierte Pflegekräfte konzentrieren, wird sich dies auf den Einsatz der Hilfskräfte auswirken. Immer mehr Tätigkeiten, die von Hilfskräften erledigt werden können, werden ausgebildeten Fachkräften zugeordnet. Dies führt dazu, dass der Schlüssel der Hilfskräfte immer weiter nach unten gesenkt wird, wodurch Pflegehilfskräfte stigmatisiert werden. Dieser Wandel passt nicht in die Gesamtlandschaft der Pflege in Deutschland, in welcher Alten- und Krankenpflege gemeinsam ausgebildet werden und die Frage der Akademisierung der Pflege diskutiert wird. Für eine Akademisierung benötigt der Pflegebereich einen guten Aufbau, der durch Pflegehilfskräfte gestützt wird. Und diesen Prozess sehe ich im aktuellen Selbstkostendeckungssystem derzeit leider nicht.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Es stellt sich die Frage, ob das Finanzierungssystem dazu geeignet ist, die Probleme in der Pflege zu bewältigen. Meiner Meinung nach ist es das nicht. Wir haben momentan ein kurzfristiges System, in welches man Geld einzahlt, um den Aufbau der Pflegekräfte im Krankenhaussektor zu fördern. Die Pflegehilfskräfte stehen dabei nicht im Fokus. Zwar umfasst das Pflegebudget auch die Selbstkostendeckung für Hilfskräfte, aber an dieser Stelle müssen immer auch die Personaluntergrenzen berücksichtigt werden. Hier stimmen oftmals die Verhältnisse zwischen Fachkräften und Hilfskräften nicht.
In der Vergangenheit konnte das DRG-System die Prozesse der Kliniken nicht gut abbilden. Die Idee der Selbstkostendeckung, in der jede Pflegekraft bezahlt wird, ist politisch ein Schlagwort, das sich gut nach außen verkaufen lässt. Insofern ist es kurzfristig eine gute Maßnahme, langfristig allerdings sicherlich der falsche Weg.
Sie haben die Finanzierung der Pflege gerade schon angesprochen. Viele Stimmen kritisieren diese und fordern eine erneute Reform des Sofortprogramms. Wie sollte dieses Programm Ihrer Meinung nach finanziert werden?
Bisher gab es einen Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro. Dieser wurde nun auf 200 Millionen Euro reduziert, die ab 2020 über die DRG-Landesbasisfallwerte in das System gespeist werden. Insofern stehen weitere 300 Millionen Euro zur Verfügung, die bereits in Teilen verplant wurden. Dies hätte man allerdings sicherlich auch anders regeln können, beispielsweise indem man den Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro auch in Förderprogramme außerhalb des Finanzierungssystems investiert. Im Rahmen des DRG-Systems hätte man die Pflege auch gesondert betrachten können. An dieser Stelle wären sicherlich einige Dinge möglich gewesen.
Insofern denke ich, dass die finanziellen Mittel zur Unterstützung der Pflege sicherlich vorhanden sind und man wesentlich mehr Geld in Förderprogramme investieren könnte. Es liegt an der Politik der Bundesregierung, diese Mittel sinnvoll zu investieren, wie es bereits bei Infrastrukturprojekten der Fall ist. Das Geld íst bereits vorhanden; nun muss es in die richtigen Kanäle gesteuert werden.
Was müsste sich verändern, damit sich wieder mehr Menschen für den Pflegeberuf entscheiden?
Die Pflege leidet im Moment in der öffentlichen Wahrnehmung darunter, was in der Öffentlichkeit immer wieder plakatiert wird: Pflege ist ein schwerer Beruf mit einer großen Arbeitsbelastung. Dieses öffentliche Bild ist wahr, dass ist gar keine Frage. Dies sind Fakten, die im Alltag einer Pflegekraft vorkommen. Allerdings fehlt die Antwort darauf, wie man dieses öffentliche Bild umsteuert. Durch die häufige negative Berichterstattung ist die Pflege nicht attraktiv für junge Menschen. Wir müssen versuchen, das Image der Pflegekraft wieder auf die eigentlichen Aufgaben des Berufs zu konzentrieren und zeigen, wie ihre alltägliche Arbeit wirklich aussieht.
Meiner Meinung nach ist dies ein hervorragender Ausbildungsberuf, durch den Menschen zu hoch qualifizierten Pflegekräften geschult werden. Es ist ein moralisch und ethisch sehr wertvoller Beruf. Und wenn man diese Dinge in die öffentliche Wahrnehmung aufnimmt und gezielt Marketinginstrumente einsetzt, kann man der Öffentlichkeit zeigen, was die Pflege eigentlich ausmacht und warum sie gebraucht wird. Dies wird in der Bevölkerung bisher nur selten diskutiert, und wenn, dann meistens auf der Basis von negativen Aussagen.
Negative Schlagzeilen wie der Fachkräftemangel in der Pflege stehen in der Öffentlichkeit im Vordergrund: „Uns fehlen Pflegekräfte, wir müssen Fachkräfte aus dem Ausland anwerben.“ Wir müssen uns der Wirkung solcher Schlagzeilen bewusst werden. Deshalb müssen wir die Pflegekräfte jetzt in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützen, indem man aufzeigt, wie attraktiv der Pflegeberuf eigentlich ist. Vielleicht gibt es sogar Mittel, mit denen man den Beruf noch attraktiver machen kann, beispielsweise durch Weiterbildungsangebote.
Es gibt hochspannende Betätigungsfelder für Pflegekräfte. Zusätzlich dazu kommt die Akademisierung hinzu. Auch diese kann man nach vorne schieben, ohne dass man den Unterbau letzten Endes vergisst. Ich glaube, dass man die Rahmenbedingungen anpassen muss, sodass der Beruf nicht in einem Ressourcenverbrauch, also im Verbrauch von Pflegekräften, endet. Dann, denke ich, ist das Rad der Pflege rund.
Reicht denn die Pflegereform dafür aus?
Nein. Definitiv nicht. Wie wir festgestellt haben, hat die Selbstkostendeckung als Finanzierungssystem die falschen Anreize. Im Moment versucht man, die Notwendigkeit von Pflegekräften durch das Anwerben von ausländischen Kräften auszugleichen. Das ist sicherlich auch ein ergänzendes Instrument, um die Lücke der fehlenden Arbeitskräfte kurzfristig zu schließen. Aber das Entscheidende ist, die Attraktivität des Berufs in den Vordergrund zu stellen, damit sich auch wieder junge Menschen für den Pflegeberuf entscheiden.
Schließlich ist die intrinsische Motivation, alten und kranken Menschen zu helfen, bei vielen bereits da. Aber diese Menschen dürfen nicht über Arbeitsprozesse stigmatisiert werden. Wenn in der Öffentlichkeit hauptsächlich darüber geredet wird, dass Pflegekräfte im Schichtdienst arbeiten, oft schwer heben und viele Patienten versorgen müssen und im Gegensatz dazu nur wenig Freizeit haben, wird sich das Image der Pflege nicht verbessern.
Ich glaube, wie gesagt, dass die Selbstkostendeckung kurzfristig an dieser Stelle Abhilfe schaffen kann. Um mehr Pflegekräfte zu generieren, müssen wir allerdings auch zwei Dinge wissen. Erstens müssen wir überlegen, wie viele Pflegekräfte pro Bett dem Patienten eine wirkliche Verbesserung bringen. Das ist eine wissenschaftlich hoch umstrittene Frage. Im Hinblick auf die Pflege ist noch fraglich, wo genau die Grenzen liegen. Indem wir aufzeigen, wie viele Pflegekräfte für eine optimale Versorgung gebraucht werden, können wir die bisherige negative Berichterstattung umkehren: Durch die Hilfe von X weiteren Kolleginnen und Kollegen wird die einzelne Pflegekraft entlastet. Sie hat weniger zu tun, ist nicht überarbeitet, hat keine schlaflosen Nächte und kein Rückenleiden. Dieser Ansatz das fehlt mir im Augenblick in allen Anreizsystemen.
Zweitens bleibt die Frage, was im Ergebnis bei den Patienten ankommt. Wenn wir beide Fragen beantworten können, kann man die entsprechenden Marketingmaßnahmen auch zur Förderung und zur positiven Bindung dieses Berufsbildes nutzen.
Welche drei großen Herausforderungen sieht der Zweckverband für Krankenhäuser in Bezug auf Pflegepersonaluntergrenzen in den nächsten zwei bis drei Jahren?
Zwei bis drei Jahre ist eine relativ kurze Zeitspanne, in der Folgendes passieren wird: Es wird Sanktionsmechanismen bei den Untergrenzen geben, die bereits jetzt in manchen Bereichen in Kraft getreten sind und für weitere Bereiche vorbereitet werden. Das wird dazu führen, dass Stationen geschlossen werden müssen. Intensivstationen werden heute schon geschlossen, weil die Untergrenzen nicht eingehalten werden können. Das ist eine katastrophale Entwicklung, da Krankenhäuser die Nachfrage nicht erfüllen können und von der Leistungserbringung ausgeschlossen werden. Auch hier geht es wieder um finanzielle Anreizsysteme. Das aktuelle System setzt ein falsches Signal, es ist das verkehrte Instrument.
Insofern werden Krankenhäuser an der Stelle natürlich versuchen, die Untergrenzen einzuhalten, um Sanktionen zu verhindern. Dazu fehlt vielen allerdings das benötigte Personal. Im Moment stellen viele Einrichtungen mehr Personal ein. Die spannende Frage wird sein, ob dies reicht, um die normativ gesetzten Grenzen einzuhalten. Ich glaube, dass viele Krankenhäuser Bereiche schließen müssen, damit sie nicht eventuell dafür haften müssen, wenn Patienten trotz Verstoß gegen die Untergrenzen behandelt werden. In diesem Fall wird sich juristisch noch eine ganze Menge klären müssen. Aus diesen und weiteren Gründen muss man bereits jetzt überlegen, ob Untergrenzen überhaupt das Richtige sind, oder ob man nicht eher über Personalbedarfe reden muss. Ein Personalbedarfsinstrument könnte unter Umständen effektiver helfen als die jetzigen Untergrenzen.
Dipl.-oec. Thomas Köhler ist seit 2008 Geschäftsführer des
Zweckverbandes der Krankenhäuser Südwestfalen e.V. Davor war er in
verschiedenen Positionen in kaufmännischen Bereichen von Krankenhäusern
und als Referent des Zweckverbandes tätig. Der Verband vertritt die
Interessen seiner derzeit 34 Mitgliedshäuser vor allem in den
Entgeltverhandlungen.