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Fachkräftemangel in der Pflege bekämpfen

Personalentwicklung

Von KlinikRente | Fotos: Patrick Schulze — 25.05.2020

Fachkräftemangel in der Pflege bekämpfen

Interview mit Niko Stumpfögger, ver.di Bundesverwaltung

Unverlässliche Dienstpläne und wenig Personal - viele Pflegekräfte klagen im Moment aufgrund des anhaltenden Fachkräftemangels über unzureichende Arbeitsbedingungen. Doch wie können Arbeitgeber dem entgegenwirken? Im Interview erklärt Niko Stumpfögger, wie Krankenhäuser aktiv gegen Fluchtursachen in der Pflege vorgehen können.


Was sind Fluchtursachen für Arbeitnehmer in der Pflege?

Eine der größten Fluchtursachen in der Pflege ist die zu hohe Anzahl der Patienten im Verhältnis zu den Fachkräften. Pflegekräfte möchten natürlich alle Patienten professionell versorgen. Sie arbeiten viel und schaffen es aufgrund des Personalmangels trotzdem nicht, ihre Patienten ausreichend zu versorgen. Für die Zufriedenheit im Beruf und die Motivation ist das auf lange Sicht zermürbend. Viele Pflegende gehen nach ihrer Schicht nicht nur müde, sondern kaputt und erschöpft nach Hause. Hinzu kommt, dass nicht wenige Pflegekräfte durch diese Belastungen erkranken. Der Krankenstand im Pflegebereich ist wesentlich höher als im Durchschnitt der Erwerbstätigen.

Eine weitere Fluchtursache ist die Unverlässlichkeit der Dienstpläne. Oftmals erfährt eine Pflegekraft erst sehr kurzfristig, wie sie arbeiten muss. Hinzu kommt, dass Pflegekräfte aufgrund des hohen Krankenstands häufig für ihre Kollegen einspringen müssen. Krankenhäuser halten nach unserer Beobachtung keine ausreichenden Reserven für normale Krankheitsfälle vor. Daraus entsteht ein großer zusätzlicher Stress für Pflegekräfte. Und für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das katastrophal.

Welche drei Punkte kann das Pflegemanagement im Krankenhaus umsetzen, um die von Ihnen genannten Fluchtursachen zu bekämpfen?

Schnell spürbar wäre vor allem ein verlässlicher Dienstplan. Wichtig ist hier, dass die Pflegekräfte während ihrer Schichten und insbesondere nachts nicht alleine im Dienst sind. Zweitens sollte eine Überbelegung vermieden und eine Steuerung der Patientenbelegung eingeführt werden. Wenn dem Krankenhaus nicht ausreichend Personal zur Verfügung steht, sollten entsprechend weniger Patienten aufgenommen werden.

Ein dritter Punkt, mit dem Fluchtursachen bekämpft werden können, wäre eine gute Ausbildung. Das bedeutet, dass die Auszubildenden die vorgeschriebene Praxisanleitung erhalten und dass sie auf der Station arbeiten, die im Ausbildungsplan vorgesehen ist. Fachkräfte, die für Praxisanleitung ausgebildet sind, müssen Zeit für die Anleitung bekommen. Das Stationshopping muss ein Ende haben. Mit Stationshopping meine ich: Heute werden die Auszubildenden oft als Lückenbüßer für fehlende Fachkräfte eingesetzt, heute auf der einen und morgen auf einer anderen Station.

Wie können gute oder ideale Arbeitsbedingungen in Zeiten von Pflegenotstand und Fachkräftemangel überhaupt realisiert werden?

Wichtig ist zunächst, dass gute Arbeitsbedingungen schnell spürbar sind. Wenn Krankenhäuser und Kliniken ihren Beschäftigten signalisieren, dass sie Überbelegungen wirklich ernsthaft vermeiden wollen und bereit sind, auch auf einen Erlös zu verzichten, damit eine anständige Versorgung möglich ist, ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Zweitens ist es wichtig, dass die Führungsebene mit Betriebsräten, Personalräten und Mitarbeitervertretungen kooperiert, um gemeinsam eine Lösung zu finden. Und letztendlich sollten Arbeitgeber die Beschäftigten selbst fragen, was sich verändern muss. Mit den Arbeitnehmern gemeinsam können Pläne entwickelt werden, die ihnen unter den jetzigen Umständen die Arbeitsbedingungen erleichtern.

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Wie beeinflusst die neue Finanzierung der Pflege von Gesundheitsminister Spahn die Arbeitsbedingungen in der Pflege?

Zunächst war es eine richtige Entscheidung, im Rahmen des „Sofortprogramms Pflege“ des Gesundheitsministeriums jede zusätzliche neue Stelle in der Pflege zu finanzieren. Der Anreiz, Stellen abzubauen, den es über viele Jahre gab, ist damit beseitigt. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die Beschäftigten durch die neuen Regelungen eine deutliche Verbesserung spüren. Denn ein Druck, mehr Personal einzustellen, ist damit noch nicht verbunden. Die eingeführten Pflegepersonaluntergrenzen sind der erste Versuch der direkten Steuerung durch einen Eingriff bis in die einzelne Schicht. Meiner Meinung nach macht diese Regelung den Planungsablauf sehr kompliziert, bei bescheidenem Nutzen für die Patienten, und ist deswegen als Lösung nicht geeignet. Vor allem geht es aber bei den Untergrenzen nicht um die Versorgung der Patienten nach deren Bedarf. Stattdessen handelt es sich um eine willkürlich gegriffene Beschäftigtenzahl, die eingehalten werden soll, damit die Versorgung der Patienten nicht gefährdet ist. Deshalb erzeugen die Untergrenzen unter den Pflegekräften auch noch keine motivierenden Arbeitsbedingungen.

Welche drei großen Herausforderungen sehen Sie für Krankenhäuser in Bezug auf die Fachkräftegewinnung in den kommenden zwei bis drei Jahren?

Eine Herausforderung wird sein, die Leiharbeit in der Pflege wieder unter Kontrolle zu bekommen. Früher hat das Personalmanagement Leiharbeit gezielt eingesetzt, um mit so wenig hauseigenem Personal wie möglich zu arbeiten. Das hat sich umgekehrt. Für teures Geld werden heute Lücken in den Dienstplänen mit Leiharbeitskräften gestopft, Tendenz zunehmend. Zweitens ist vor allem die Attraktivität der Ausbildung wichtig, damit sich junge Menschen für den Beruf entscheiden und auch nach ihrer Ausbildung im Gesundheitswesen bleiben. Drittens muss sich das Krankenhausmanagement darauf einstellen, in den nächsten Jahren weniger Erlöse zu erzielen. Denn wenn Überbelegungen vermieden werden, erhält das Unternehmen geringere Erlöse.

Sie sprachen gerade die Leiharbeit an. Mit welchen Maßnahmen kann man diese regulieren?

Leiharbeit kann reguliert werden, indem die Überbelegung zurückgefahren wird. Wenn Krankenhäuser nicht genügend eigene Arbeitskräfte haben, dann können sie die Belegung so herunterfahren, dass die Anzahl der Patienten zu dem vorhandenen Personal passt. Das wäre meine bevorzugte Lösung.

Wenn Krankenhäuser nicht auf Leiharbeit verzichten möchten, weil sie auf hohe Patientenzahlen und hohe Einnahmen setzen oder weil sie die Notfallversorgung nicht sicherstellen können, sollten sie mit ihrer betrieblichen Interessenvertretung Regelungen einführen, die das gemeinsame Arbeitsleben von Leiharbeitern und Festangestellten zufriedenstellend gestalten. Dabei ist es wichtig, beide Gruppen gleichberechtigt zu behandeln, sodass weder die Leiharbeiter noch die Angestellten bevorzugt werden. Hinzu kommt, dass Leiharbeiter oftmals nicht eingearbeitet sind. Dies belastet sowohl sie selbst als auch die Stammbelegschaft, die aufgrund der Unerfahrenheit der anderen mehr leisten muss. Deshalb müssen Leiharbeiter vor ihrem Einsatz eingearbeitet werden, was wiederum mit einem hohen Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist.


Niko Stumpfögger ist als Bereichsleiter bei der ver.di Bundesverwaltung verantwortlich für die Betriebs- und Branchenpolitik im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.

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