DRGs nach der Pflegereform – Ein Lösungsansatz
Interview mit Dr. Frank Heimig, Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK)
Schon seit Langem stehen diagnosebezogene Fallgruppen (DRG) in der Kritik und erst vor Kurzem haben über 200 Ärztinnen und Ärzte eine Reform des Systems gefordert. Dr. Frank Heimig vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) ist sich dennoch sicher: Deutschland braucht die DRGs. Im Interview erklärt er, warum.
Inwiefern sehen Sie nach der Pflegereform noch Perspektiven für das DRG-System?
Die Pflegereform ist ein Zwischenschritt in der Reform des DRG-Systems. Innerhalb der diagnosebezogenen Fallgruppen würde ich gerne unterscheiden zwischen dem Klassifikationssystem, also der eigentlichen Aufgabe der DRGs, und dem originären DRG-System, das sich mit der Zuordnung von bestimmten Erkrankungsklassen zu ihren Aufwänden beschäftigt. Der Unterschied zwischen den beiden Systemen lässt sich auch vergleichen mit einem einfachen und einem komplizierten Blinddarm, oder auch mit der Versorgung eines gesunden Neugeborenen und einer komplexen Entbindung. Wir brauchen wie in allen modernen Staaten eine Bezeichnung für die Leistungen, die im Krankenhaus erbracht werden. Alle anderen Parameter sind ungeeignet, seien es die Tage des Krankenhausaufenthaltes oder ein Gesamtbudgetansatz für die Beschreibung der Leistungen des Krankenhauses.
Das DRG-System wird immer mit dem Finanzierungssystem gleichgestellt, obwohl es eigentlich mit der Währung dieses Systems zu vergleichen ist, da es ausschließlich die Klassen bezeichnet. Innerhalb des Finanzierungssystems muss man anhand der Pflege innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre beobachten, wie erfolgreich die Reform war. Auch sehen wir dann erst, wie viel administrative Arbeit geleistet wurde und welche neuen Anreize die Reform gesetzt hat. Dem gegenüber steht das DRG-System, welches durch die Herausnahme der Pflege klassifikatorisch geschwächt wurde. Aber vielleicht kommen wir irgendwann auf einen Weg, wo wir die Ziele, die wir für den Finanzierungsrahmen haben wollen, erhalten können, ohne das DRG-System auseinanderzubauen.
Im STERN-Magazin nannten vor Kurzem über 200 Ärztinnen und Ärzte das Fallpauschalensystem als einen der Hauptgründe für Missstände in deutschen Krankenhäusern. Sie fordern eine grundlegende Reform des Systems. Für die Pflege ist diese ja jetzt da. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Appell der Ärzte?
Der Appell der Ärzte ist sehr schwer wissenschaftlich oder ganz sachlich zu beurteilen. Die Kritikpunkte sind für mich in vielen Bereichen gut nachzuvollziehen. Aber wie ich bereits bei der vorherigen Frage erwähnt habe, liegt das Problem nicht bei den Fallpauschalen, sondern im finanziellen Rahmensystem. Man darf nicht vergessen, dass ein Kriterium bei der Einführung der DRGs und der Umstellung des Finanzierungsrahmens natürlich der Wettbewerb unter den Krankenhäusern war. Insofern leistet das Finanzierungssystem in Teilen bereits das, wofür es zuständig ist. Die Auswirkungen sind dabei aber kritisch zu beurteilen. In diesem Punkt gehe ich mit den Kolleginnen und Kollegen einher.
Allerdings halte ich die allgemeine Kritik am Pauschalsystem für überzogen. Wichtig ist immer die Differenzierung zwischen dem Finanzierungssystem und dem Leistungsbezeichnungssystem.
Und wie müsste das Fallpauschalensystem nach Meinung der InEK aussehen, damit sowohl Ärzte als auch Patienten davon profitieren können?
Das jetzige Fallpauschalensystem in seiner Klassenbeschreibung ist sehr stark den Vorgaben der Ärzte gefolgt. Die wesentlichen Differenzierungsgrade, die wir in Deutschland haben, kommen überwiegend aus den Krankenhäusern oder im Detail sogar von den medizinischen Fachgesellschaften. Dies hat zu einem hochdifferenzierten, sehr modernen Leistungsbeschreibungssystem geführt, das für jeden Mitarbeiter im Krankenhaus weder nachvollziehbar noch verständlich ist. Damit ist es unserem Steuersystem sehr ähnlich.
Die Kunst dabei ist es, Ursache und Wirkung voneinander zu trennen. Die Klassifikation, die Bezeichnung der Leistungen muss differenziert sein und ist deshalb auch sehr komplex. Deswegen wird sie mittlerweile fast vollständig von Computern erledigt, die beispielsweise bei der Ermittlung des Schweregrades helfen. Denn nur so können wir die moderne Medizin abbilden. Und die Tatsache, dass die Patienten in ihrer Behandlung stark unterschiedliche Aufwände haben, zieht weitere Fragen nach sich. Muss jedes Detail eine automatische Wirkung in der Finanzierung haben? Wir würden die Veränderung eher sehen, wenn wir von den unmittelbaren finanziellen Auswirkungen der einzelnen Einstufungen etwas zurücktreten.
Vor welchen drei großen Herausforderungen sieht das InEK die Krankenhäuser in den kommenden zwei bis drei Jahren?
Über den allgemeinen, fast schon mantraförmigen Themen wie Digitalisierung steht die Frage nach der Zukunft: Mit wie vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern werden wir in Zukunft arbeiten können? Und eine Sache, die man im Krankenhaus wahrscheinlich nur ungern hört, ist die Transparenz der Arbeiten innerhalb des Unternehmens. Die Frage nach den Leistungen, nach der Qualität und den Beteiligten steht im Vordergrund. Dinge wie Pflegepersonaluntergrenzen oder Personalanhaltszahlen, die vor zehn Jahren kaum vorstellbar waren, sind heute Themen der Zukunft. Die Gesellschaft würde gerne wissen, wie und mit welcher Qualität Leistungen erbracht werden.
Die Anforderungen der Zukunft lassen sich nur umsetzen, wenn wir die großen Anforderungen der digitalen Dokumentation im Krankenhaus zeitnah meistern. Aus meiner Erfahrung stehen viele Krankenhäuser noch vor dieser Aufgabe, da vieles Wissen um ihre Leistungserbringung, ihre Personalstandards und ihre Qualifikation nicht in adäquater Zeit auslesbar, differenzierbar und präsent ist. Im Moment ist das Nachfragen, wer mit welcher Qualifikation Patienten auf Station behandelt, ein administrativer Killer für die meisten Häuser. Wenn das so bleibt, legen wir die Administration lahm, ohne nachzuweisen, dass die Häuser die entsprechende Qualifikation auf der Station besitzen.
Wie kann man insbesondere den Problemen bei der Administration, die Sie gerade angesprochen haben, entgegenwirken?
Als wir vor etwa zwanzig Jahren angefangen haben zu beschreiben, was wir im Krankenhaus machen, wussten wir weder welche Diagnosen die Patienten haben, noch welche genauen Leistungen erbracht wurden und wie lange diese dauern. Geschweige denn, was es kostet. Die Fragestellungen waren die gleichen wie heute. Mit einer Dokumentation aus einem OP-Buch, einer Strichliste auf der Station oder einem Zettel in der Kitteltasche, der die Hauptdiagnosen einer Station beschreibt, wären wir nicht weitergekommen. Auch dort hilft nur das Standarderfassen von typischen Dokumentationen. Wir dokumentieren sehr viel im Krankenhaus. Sehr viel, was sich nicht immer als nützlich erweist. Ohne einen indikativen Ansatz mit der adäquaten IT-Unterstützung werden wir dort Schiffbruch erleiden.
Dr. Frank Heimig ist Arzt und Medizincontroller und seit 2001 Geschäftsführer des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) mit Sitz in Siegburg. Er ist seit Jahren Berater bei der Entwicklung und Einführung des G-DRG-Systems u. a. in England, der Schweiz und Zypern.