Interview mit Dr. Christina Schön

Mit einem Bein in der abhängigen Beschäftigung

Personalentwicklung

Von KlinikRente — 28.01.2019

Mit einem Bein in der abhängigen Beschäftigung

Interview mit Dr. Christina Schön, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei BDO Legal

Viele Krankenhäuser setzen Ärzte und Pflegekräfte auf Honorarbasis ein, um den Fachkräftemangel auszugleichen oder spezielle Behandlungen durchführen zu lassen. Doch dabei entsteht oft eine abhängige Beschäftigung und somit eine Scheinselbstständigkeit. Dr. Christina Schön, Fachanwältin für Arbeitsrecht, erklärt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit ein Arzt selbstständig in einem Krankenhaus tätig sein kann.


Warum arbeiten selbstständige Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern und wie funktioniert das System?

Oft kommt es in Krankenhäusern zu Auftragsspitzen, die mit dem festangestellten Personal alleine nicht abgedeckt werden können. Derartige Auftragsspitzen werden in der Praxis oft über Honorarkräfte abgedeckt. Darüber hinaus werden oftmals spezielle Fachrichtungen im Krankenhaus nicht durchgehend vorgehalten, da der Bedarf hierfür nicht dauerhaft besteht. Derartige Auftragsspitzen bzw. den Bedarf für spezielle Fachrichtungen kann man natürlich, wenn es funktionieren würde, auf Basis einer freien Mitarbeit abdecken. Einige Mitarbeiter sind außerdem nicht bereit, im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung zu arbeiten, um sich selbst die größtmögliche Flexibilität zu erhalten. Dies gilt insbesondere für Ärzte, die eigene Praxen haben und an einer abhängigen Beschäftigung regelmäßig nicht interessiert sind.

Welche Probleme können bei dem Einsatz von selbstständigen Ärzten auftreten?

Die Kriterien für eine abhängige Beschäftigung sind leider oft erfüllt. Die Selbstständigkeit ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Und dadurch, dass Ärzte im Krankenhaus typischerweise zwangsläufig in vielen Bereichen im Team mit angestellten Mitarbeitern des Krankenhauses zusammenarbeiten müssen und bei Visiten oder Teambesprechungen dabei sind, kommt es oft zu einer Eingliederung, die schädlich für eine Selbstständigkeit ist. Außerdem verbleiben die Gesamtverantwortung und das Letztentscheidungsrecht in der Regel beim ärztlichen Direktor oder Chefarzt des Krankenhauses, wodurch diese Personen im Konfliktfall die Rechtsmacht haben, das Ob und Wie der ärztlichen Tätigkeit zu bestimmen. Hinzu kommt die Nutzung vieler oder sogar der gesamten Betriebsmittel des Krankenhauses und nicht der eigenen Betriebsmittel. Die Ärzte bringen vielleicht ihren Arztkoffer mit, aber nicht größere Gerätschaften. Dadurch fehlt ihnen meist das Unternehmerrisiko, durch das eine Selbstständigkeit geprägt wird. In der Regel haben sie außerdem keine eigene Haftung. Sie sind in den meisten Fällen, das gilt für 90 Prozent aller Verträge, die ich gesehen habe, in die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses eingebunden. Und typisch für eine Selbstständigkeit wäre, dass sie selbst dafür sorgen müssen, dass sie für ihre Fehler abgesichert sind. Außerdem gibt es relativ viele Aufzeichnungspflichten, die aus gesetzlichen Vorgaben resultieren. Die selbstständigen Ärzte müssen Berichte schreiben, die auf Vollständigkeit kontrolliert werden. Und diese Kontrolle stellt wiederum ein Indiz für eine abhängige Beschäftigung dar. Die Kriterien für die selbstständige Tätigkeit, die durch die Rechtsprechung aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen entwickelt wurden, lassen nicht viel Spielraum in diesen Konstellationen für eine selbstständige Tätigkeit.

Welche Vor- und Nachteile gibt es bei einer selbstständigen Tätigkeit im Krankenhaus, sofern das System funktioniert?

Für Krankenhäuser hat es den Vorteil, dass sie flexibel auf Auftragsschwankungen reagieren können. Wenn ein Arzt beispielsweise im Urlaub ist, wird ein Honorararzt für diese Zeit im Krankenhaus tätig. Aber allein darin liegt schon ein Problem. Wenn der selbstständige Arzt jemanden ersetzt, der fest angestellt ist, ist er bereits mit einem Bein in der abhängigen Beschäftigung. Und für spezielle Fachrichtungen haben Krankenhäuser oftmals keinen Dauerbedarf. So gesehen ist das perfekt aus Sicht des Krankenhauses und hat Auswirkungen auf die Kosten. Zwar sind die Stundensätze bei Selbstständigen in der Regel höher, dafür kann man sie gezielt für die Einsätze beauftragen, für die der Bedarf gerade am größten ist. Und für die freien Ärzte liegt der Vorteil klar in der freien Einteilung der Arbeitszeit. Sie können Aufträge ablehnen, wenn sie ihnen nicht passen, und können das mit ihrer Praxistätigkeit sehr viel besser in Einklang bringen.



Interview mit Dr. Christina Schön

Wie könnte der Einsatz von selbstständigen Pflegekräften bei der Umsetzung von Personaluntergrenzen helfen?

Auch selbstständige Pflegekräfte kann man natürlich einsetzen, um die Personaluntergrenzen zu erfüllen. Auch in diesem Bereich kann man kostengünstig auf bestimmten Mehrbedarf reagieren. Allerdings ist die Rechtsprechung, was Pflegekräfte betrifft, sehr eindeutig. Pflegekräfte sind naturgemäß sehr in die Klinikabläufe eingebunden. Eigentlich verliert die Pflegekraft schon, wenn sie den ersten Fuß in die Tür des Krankenhauses setzt, ihre Dispositionshoheit. Sie muss zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein. Sie bekommt Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Tätigkeit. Sie kann nicht entscheiden, ob ein Patient andere Tabletten bekommt als sonst. Sowohl der Rahmen als auch der Inhalt der Tätigkeit sind geprägt von Vorgaben und der Zusammenarbeit im Team. Es gibt folgerichtig auch keine Rechtsprechung, nach der eine Pflegekraft selbstständig tätig sein kann.

Sie haben schon erklärt, dass es häufig dann zur Scheinselbstständigkeit kommt, wenn freie Mitarbeiter im Krankenhaus arbeiten. Wie können Krankenhäuser verhindern, dass freie Mitarbeiter scheinselbstständig sind?

Im ersten Schritt sollte man überlegen, ob die jeweilige Berufsgruppe oder Tätigkeit überhaupt für eine freie Mitarbeit infrage kommt. Irgendeinen Standardvertrag zu nehmen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, ist fahrlässig. Es gibt durchaus Bereiche, auch bei Ärzten, in denen eine freie Mitarbeit funktionieren kann. Es gibt zum Beispiel oft Kooperationen mit Ärzten, die für gezielte Untersuchungen ins Krankenhaus kommen und danach sofort wieder gehen. In dem Fall kommt es nicht zu einer Eingliederung, wie sie ansonsten der Fall wäre. So kann eine freie Mitarbeit funktionieren. Oder es gibt Kooperationsverträge, bei denen die Ärzte die Patienten des Krankenhauses in ihrer eigenen Praxis behandeln. Auch in dem Fall liegt keine Eingliederung vor. Im Bereich Arbeitsmedizin/betrieblicher Dienst kann eine selbstständige Tätigkeit ebenfalls funktionieren. Betriebsärzte führen spezielle arbeitsmedizinische Untersuchungen durch, bei denen sie in der Regel  nicht auf eine Zusammenarbeit im Team angewiesen sind. Die Bereiche, die ich gerade aufgeführt habe, können auf Basis einer selbstständigen Tätigkeit funktionieren. Für Pflegekräfte funktioniert dies meines Erachtens nach nicht mehr. Auch für Stationsärzte, die eng an ein Team gebunden sind, funktioniert das System nicht. Die tatsächlich gelebte Praxis ist das Entscheidende. Im Zweifel muss man sich von vornherein für eine andere Beschäftigungsform entscheiden. Man sollte auch die Personalverantwortlichen entsprechend instruieren, damit sie wissen, für welche Berufsgruppen sich eine freie Mitarbeit überhaupt eignet. Und es gibt durchaus alternative kostengünstige Beschäftigungsformen wie beispielsweise die kurzfristige Beschäftigung. Diese ist sozialversicherungsfrei und setzt unter anderem voraus, dass der Mitarbeiter aktuell nicht mehr als 70 Tage im Jahr im Rahmen einer kurzfristigen Beschäftigung arbeitet. Wenn alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind, ist eine kurzfristige Beschäftigung eine interessante und ebenfalls kostengünstige Alternative.

Welche Strafen drohen einem Unternehmen und dem Mitarbeiter, wenn eine Scheinselbstständigkeit aufgedeckt wird?

Dem Mitarbeiter drohen zunächst keine Strafen. Für ihn ist das risikofrei. Das komplette Risiko trifft das Krankenhaus. Wenn aufgedeckt wird, dass es sich um eine Scheinselbstständigkeit handelt, ist meistens die Vergangenheit betroffen. Und für die Vergangenheit zahlt der Arbeitgeber nicht nur den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung, sondern auch den Arbeitnehmeranteil, den sonst der Mitarbeiter getragen hätte. Diesen Anteil darf er sich vom Arbeitnehmer im Nachhinein auch nicht auszahlen lassen. Entsprechende Vereinbarungen hierüber, die in der Praxis oft anzutreffen sind, sind nichtig. Das Krankenhaus trägt daher das finanzielle Risiko der doppelten Beitragszahlung. Und die Säumniszuschläge für die Vergangenheit sind recht hoch. Es können außerdem Bußgelder in einer Höhe von bis zu 25.000 Euro verlangt werden, wenn bestimmte Beschäftigungen nicht gemeldet wurden, egal ob dies vorsätzlich oder fahrlässig geschehen ist. Und ein selbstständiger Arzt wird im Normalfall nicht gemeldet. Wenn ein Beschäftigter vorsätzlich nicht gemeldet wird, ist dies außerdem in der Regel eine Straftat des Geschäftsführers, die geahndet werden kann.

Dr. Christina Schön ist als Fachanwältin für Arbeitsrecht bei BDO Legal auf den Bereich des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts spezialisiert. Sie hat zahlreiche Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und sonstige Unternehmen bei der Aufarbeitung sozialversicherungsrechtlicher „Altlasten“ sowie alternativer Gestaltungsmöglichkeiten beraten.

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